Kleiderspenden erfolgreich nach Bihac transportiert

Bericht und Ausblick:

Tübingen hilft SOS Bihac – mehr als eine humanitäre Hilfsaktion

Neben den griechischen Inseln und der griechisch-türkischen Grenze ist die Region um Bihac an der bosnisch-kroatischen Grenze einer der „Hot-Spots“ des Versagens der EU-Flüchtlingspolitik geworden. Tausende Geflüchtete lässt die EU dort in die Sackgasse laufen, weil sich „2015“ nicht wiederholen darf. Die Situation ist von üblen Unterbringungsbedingungen und massenhaften (illegalen und gewalttätigen) Pushbacks durch die kroatische Grenzpolizei geprägt.
Nach dem Brand im Flüchtlingslager Lipa bei Bihac kurz vor Weihnachten 2020 entschlossen sich ein Bündnis aus Tübinger Organisationen zu einem Hilfsaufruf mit dem Ziel, diesem politisch gewollten Normalzustand etwas entgegenzusetzen. In Absprache mit dem Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Arbeit e.V., das seit vielen Jahren als humanitäre Hilfsorganisation in der Balkanregion tätig ist und in den letzten Jahren die Unterstützung für SOS Bihac aufgebaut hat, wurde abgeklärt, welche Bedarfe in Bihac vorhanden sind.
Daraufhin starteten wir die Aktion „Tübingen hilft SOS Bihac“, in deren Rahmen im Laufe des Januar zahlreiche solidarische Menschen aus Tübingen und Region insgesamt über 10 Tonnen wintertaugliche Kleidung, Schuhe, Schlafsäcke, Decken und Rucksäcke für die in Not befindlichen Flüchtlinge an der bosnisch-kroatischen Grenze spendeten. Bei einem ersten Hilfstransport wurden am 19. Februar knapp die Hälfte dieser Hilfsgüter erfolgreich nach Bihac gebracht und an SOS Bihac übergeben. Ein großer Teil der verbliebenen Kleiderspenden wird Ende März zu bedürftigen Frauen und Kindern in Flüchtlingslagern in Nordgriechenland gebracht (siehe unten). Nach Bihac ist ein weiterer Transport für Anfang April geplant. Ein großer Teil der eingegangenen Geldspenden wird an das Aachener Netzwerk weitergeleitet werden. Das Geld soll insbesondere zum Kauf eines (bereits angemieteten) „Rasthauses“ für verletzte, kranke oder von Pushbacks betroffene Geflüchtete in Bihac und zur Förderung der Arbeit von freiwilligen Helfer*innen beitragen.

Januar bis 18. Februar: Sammeln, sortieren, verpacken
Bereits kurz nach Verbreitung des Aufrufs Anfang Januar gingen zahlreiche Spenden ein. Schnell mussten wir feststellen, dass es nicht ausreichte, die bei den Sammelstellen abgegebenen Kartons und Säcke einmal wöchentlich abzuholen. Beim Marktladen in der Nordstadt mussten wir täglich Spendengüter abholen, meist mit einem Transporter. Der Aufruf verbreitete sich auch über Tübingen hinaus und wurde von Privatpersonen und Organisationen aufgegriffen und unterstützt. So führten u.a. der Freundeskreis Asyl Ostfildern und der AK Asyl Frickenhausen selbständig Sammelaktionen durch und brachten die Spenden an unsere Sortierstellen. Der AK Asyl Schwäbisch Gmünd sammelte gezielt Schlafsäcke und erhielt dabei schließlich rund 500 Schlafsäcke. Vor allem unsere Sortierstellen in den Kellern der Wohnprojekte in der Hechingerstraße und im Provenceweg kamen mit der Zeit an ihre Kapazitätsgrenzen. Dort sammelten sich die eingehenden Spenden zeitweise bis unter die Decke. Glücklicherweise stellte uns dann die Firma Anno Antik aus Ofterdingen unentgeltlich eine Lagerhalle zur Verfügung, in der die fertig verpackten Hilfsgüter bis zum Abtransport gelagert und transportfertig gemacht werden konnten. Von diesem Lager in Ofterdingen startete am 19.2. der Hilfstransport. Ingesamt beteiligten sich bis Mitte Februar ca. 40 freiwillig Engagierte beim Einsammeln, Sortieren und Verpacken der Kleiderspenden, darunter auch in Tübingen und Umgebung lebende Geflüchtete. Für einige Aktive wurde das Sortieren und Verpacken zeitweise zum ehrenamtlichen Vollzeitjob. Am Schluss befanden sich im Ofterdinger Lager insgesamt über 1.000 Kartons und Säcke mit Kleiderspenden, darunter über 200 Kartons mit Jacken und über 1.000 Schlafsäcke.


18. - 21. Februar: Transport und Aufenthalt in Bihac
Da wir keine Profi-Hilfsorganisation sind und auch keine Spedition kannten, die das hätte übernehmen können, haben wir den Transport nach Bihac von Anfang an so geplant, dass wir selbst mit Transportern fahren. Hätten wir die Hilfsgüter einer Spedition übergeben, hätten sich vielleicht manche Unannehmlichkeiten beim Transport und bei der Zollabfertigung vermeiden lassen. Der semiprofessionelle Eigentransport hatte den Vorteil, dass wir mit vier Fahrzeugen und acht Personen fahren konnten. So bestand die Möglichkeit, dass wir die Hilfsgüter selbst übergeben konnten und uns selbst ein Bild von der Situation vor Ort machen konnten. Ein relevantes Problem war, dass wir bereits 10 Tage vor der Abfahrt die Spendenerklärung und die Zollpapiere, in denen der genaue Inhalt und das Gewicht der Fracht anzugeben war, zu SOS Bihac schicken mussten. Dabei war eine zusätzliche Schwierigkeit, dass bis zuletzt unklar war, wie viele und welche Spendengüter in Bihac genau gebraucht werden. Doch wir lösten die Probleme durch „learning by doing“.
Die unmittelbaren Vorbereitungen für die Fahrt begannen dann mit dem PCR-Test aller Fahrer*innen am Tag vor der Fahrt. Nur mit einem negativen PCR-Test war es möglich bzw. erlaubt, durch andere Länder durchzureisen und in Bosnien einzureisen. Bereits am Abend nach dem Test standen die Ergebnisse fest. Der Tag der Fahrt begann mit der Abholung der Transportfahrzeuge und des Wiegehubwagens. In drei Stunden beluden die Fahrer*innen und weitere Helfer*innen – begleitet von einem SWR-Team - die Fahrzeuge. Es konnte losgehen. Mit vier Transportern und einem Anhänger fuhren 8 Personen am Nachmittag des 18.2. in Richtung Bihac los. Nach einer Nachtfahrt kam der Konvoi am Morgen des 19.2. an der kroatisch-bosnischen Grenze an.

An der Grenze: Großes Tamtam um die Zollpapiere, Corona egal
„Ich habe noch nie erlebt, dass es bei humanitären Hilfstransporten an der EU-Grenze keine Probleme gibt“ (A.V. von den „Drei Musketieren“, Reutlingen)
Wir freuten uns schon auf einen schönen Kaffee in einem der (geöffneten) Cafés in Bihac, denn unsere Zollpapiere für den Grenzübergang waren ja gut vorbereitet. Doch es sollte das Feierabendbier werden. Bei der Ankunft an der Grenzstation um 9.00 Uhr wurde zwar festgestellt, dass wir eine zusammengehörige Gruppe von vier Fahrzeugen sind. Es wurde allerdings beanstandet, dass die auf 4 Fahrzeuge verteilten Hilfsgüter nicht für jedes Fahrzeug extra mit Frachtpapieren ausgewiesen waren. Auf die Frage, wo es denn diese Papiere gebe, damit wir sie noch ausfüllen könnten, erhielten wir die Antwort: „Das können sie nur in Deutschland machen“. Dem mit uns beschäftigten Zollbeamten war klar, dass es sich beim Inhalt unserer Fahrzeuge um humanitäre Hilfsgüter für SOS Bihac handelte – und während des gesamten Vorgangs wollten sie den Inhalt unserer Fahrzeuge auch überhaupt nicht überprüfen – wir wurden jedoch aufgefordert, aus der Zollstation wieder rauszufahren und die Fahrzeuge auf einem Parkplatz abzustellen. In dieser Situation blieb uns nur noch der Anruf bei Zlatan Kovacevic von SOS Bihac, von dem wir wussten, dass die Behörden ihn gut kennen. Und so kam der Zollbeamte einige Zeit später zurück und meinte, dass er mit seinem „Supervisor“ gesprochen habe und sie mit uns eine Ausnahme machen würden. Wir wurden daraufhin zu einer Spedition gebracht, bei der uns eine freundliche Bosnierin die Frachtpapiere für jedes einzelne Fahrzeug erstellte. Gegen 11.30 Uhr durften wir dann wieder in die Zollstation einfahren und die Grenze passieren – aber noch nicht weiterfahren. Jetzt mussten wir unseren Transport noch bei einer inländischen Spedition anmelden. Dort angekommen wurde uns gesagt, dass die Person, die diese Papiere mache und wegen der wir extra in Abstimmung mit SOS Bihac an einem Freitag einreisten, an diesem Tag ihren freien Tag habe. Wir sollten unsere Fahrzeuge abstellen und am folgenden Tag um 12 Uhr wiederkommen. Zwei Fahrer*innen aus unserer Gruppe wollten allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits wieder auf der Rückreise sein… Nach weiterem Hin und Her und weiterer Kontaktaufnahme schickte uns SOS Bihac eine freiwillige Helferin, die uns an der Grenze abholte. Die Transporter ließen wir also stehen und stellten uns schon auf einen ruhigen Nachmittag ein. Doch etwa eine Stunde später, während des ersten Besuchs im Gästehaus von SOS Bihac, kam der Anruf, dass wir wieder an die Grenze zurück kommen sollen und die Einreise doch noch möglich wird. Geschafft. Um 17.30 Uhr luden wir dann das erste Fahrzeug bei SOS Bihac aus und um 20.00 Uhr hatten wir alle Fahrzeuge ausgeladen.
Während unsere Fracht also scharf kontrolliert wurde, ist bemerkenswert, dass sich während unserer ganzen Reise niemand für unsere Corona-Tests interessierte. Weder an der EU-Grenze noch an den EU-Binnengrenzen, wo ja wegen Corona die Grenzkontrollen verstärkt wurden, wollte irgendjemand unsere Corona-Tests sehen. Freundlicherweise ließ das Ordnungsamt der Stadt Tübingen zu, dass die Fahrer*innen nach der Rückkehr von der Quarantänepflicht nach der „Corona-EinreiseVerordnung“ befreit wurden, wenn sie unmittelbar einen neuen PCR-Test machen und dieser negativ ist – was bei allen der Fall war. Diese Möglichkeit wollte das Ordnungsamt der Gemeinde Dettenhausen, in der eine der Mitfahrerinnen wohnt, nicht kennen und zwang die Lehrerin trotz vorgelegtem negativem Test zur Quarantäne.

Erfahrungen und Aktivitäten in Bihac / Arbeit von SOS Bihac und anderen Hilfsorganisationen

„Wenn diese Hilfe (die Kleiderspenden und weitere Hilfe) aus dem Ausland nicht gekommen wäre, wären diese Flüchtlinge in diesem Winter gestorben.“ (Eine Bürgerin von Bihac)

Am Samstag den 20.2. beteiligte sich ein Teil der Reisegruppe am Ausräumen und Sortieren der Hilfsgüter, der andere Teil der Gruppe begleitete Zlatan Kovacevic, den Leiter von SOS Bihac, bei der Arbeit im Flüchtlingslager Lipa und bei Geflüchteten, die sich im bergigen Gelände rund um Bihac aufhalten.
Die Stadt Bihac hatte in den 60er Jahren mit Umland ca. 60.000 Einwohner*innen und gegenwärtig noch knapp 30.000. Während des Bosnienkriegs war Bihac einerseits umkämpftes Kriegsgebiet und andererseits Zufluchtsort vor allem für muslimische Bosnier*innen aus den serbisch dominierten Regionen des Landes. Ökonomische Umbauprozesse führten in den 90er und 00er Jahren zu verstärkter Arbeitslosigkeit und massiver Abwanderung . Viele Häuser stehen leer. Die Besitzer*innen wohnen und arbeiten in Kroatien, Österreich, Deutschland, Italien...
Bezogen auf die EU-Grenzpolitik gegenüber Geflüchteten stellt Bihac geografisch eine Falle dar. Am äußersten westlichen Zipfel von Bosnien gelegen und umgeben von Bergen im Grenzraum zu Kroatien (EU-Gebiet) stauen sich die Geflüchteten, die die EU erreichen wollen, in Bihac. Genaue Zahlen gibt es allerdings nicht. Derzeit halten sich nach verschiedentlichen Schätzungen ca. 1.000 Geflüchtete im Lager Lipa und weitere ca. 1.000 im weitläufigen Stadtgebiet auf, u.a. in einem ehemaligen Altersheim (baufällig), in einem ehemaligen Hotel (Minderjährige / Frauen) sowie in baufälligen Gebäuden und im grenznahen Waldgebiet. Bei einer Fahrt mit dem Auto durch Bihac an einem gewöhnlichen Tag sind überall Geflüchtete zu sehen. Die gesamte Zahl von nicht registrierten Geflüchteten dürfte höher sein als offiziell angegeben.
Einzelne Bürger haben offenbar Geflüchtete zur Miete oder kostenfrei aufgenommen. Die Solidarität hat aber stark nachgelassen, nachdem allen klar wurde, dass Bihac mit den Geflüchteten sowohl von der bosnischen Staatsregierung als auch der EU alleingelassen wird. So war es im Jahr 2018 nach der Auflösung des Lagers Vucjak am Rande des Stadtgebiets nicht durchsetzbar bzw. wurde von der Stadtregierung verhindert, dass die leerstehende Halle der in einem Industriegebiet befindlichen Firma Bira zur Unterbringung von Geflüchteten genutzt wird. In Bihac befindet sich eine Kaserne, in die 1.000 Soldaten passen. Nur 150 sind dort stationiert. Der Vorschlag von SOS Bihac, die gesamte Flüchtlingsunterbringung in der Kaserne zu machen, wurde von der Stadt ebenfalls abgelehnt, weil sich die Kaserne zu nah am Stadtzentrum befinde. Ein Teil des Problems ist, dass die für die Flüchtlingsverwaltung ins Land kommenden internationalen Gelder primär in die Staatskasse, nicht jedoch in die Stadtkasse fließen.
Charakteristisch für die Situation vor Ort und sofort sichtbar ist daher, dass nahezu sämtliche Infrastruktur für die Geflüchteten vor Ort privat, ehrenamtlich oder semiprofessionell wie durch Organisationen wie SOS Bihac oder durch private internationale Hilfsorganisationen organisiert ist. Ein Teil unserer Hilfsgüter ging an ein von Freiwilligen organisiertes Koch-Kollektiv, das seit Oktober 2020 vor Ort präsent ist. Da die Gruppe aus rechtlichen Gründen nicht selbst kochen darf, bereiten sie täglich rund 300 Tages-Essenspakete vor, die sie zu Geflüchteten im Stadtgebiet und im bergigen Umland bringen, damit diese sich selbst etwas kochen können. Außerdem gibt das Koch-Kollektiv täglich bis zu 200 Essensgutscheine für einen pakistanischen Imbiss aus. Darüber hinaus verteilen sie gratis Kleidung oder bringen Spendenkleidung zu Flohmärkten. Diese auf ehrenamtlicher Basis aufgebauten Strukturen verursachen wöchentlich Kosten von ca. 5.000 Euro, die komplett über Spenden und Zuschüsse finanziert werden. Die Gruppe wird voraussichtlich Ende März ihre sehr nützliche Hilfe aufgeben müssen, weil sie dann kein Geld mehr haben.
Auch SOS Bihac ist überwiegend über Spenden aus dem Ausland finanziert, vor allem über das Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit e.V. Bei SOS Bihac arbeiten vornehmlich Bosnier*innen, die selbst in sozialen Schwierigkeiten waren. Geleitet wird die Organisation von dem Kriegsversehrten Zlatan Kovacevic, der als kleines Kind im Bosnienkrieg ein Bein verlor. Bis zu seinem 14. Lebensjahr lebte Kovacevic in Deutschland, bis die Familie abgeschoben wurde, weswegen er sehr gut Deutsch spricht. Bei SOS Bihac arbeiten junge Leute, die selbst „von der Straße“ kommen oder zum Teil lange Zeit arbeitslos waren, u.a. ein ehemaliger Kriminalbeamter, der seinen Job verlor.
Seit Kurzem ist SOS Bihac jedoch auch von der Stadt Bihac als in Zivilschutz und Katastrophenhilfe tätige Organisation anerkannt und erhält, wenn auch geringe, kommunale Mittel zur Förderung der Arbeit. Seit Februar 2021 hat SOS Bihac nun auch noch die medizinische Versorgung der Geflüchteten im Lager Lipa übernommen, nachdem der Dänische Flüchtlingsrat, der für diese Aufgabe bezahlt wurde, kurzfristig aus nicht bekannten Gründen den Auftrag niederlegte. Es gibt seit Kurzem zwei Container für die medizinische Notversorgung auf dem Gelände von Lipa, die von „Space Eye“ Regensburg gespendet wurden. Während des Besuchs war der Container voll mit Patienten. Einer hatte starkes Fieber. Es war unklar, ob es sich um eine Corona-Infektion handelte. Corona-Tests für Geflüchtete gibt es offenbar im ganzen Kanton Una-Sana nicht. Jetzt haben deutsche Ärzte Covid-Schnelltests im begrenzten Umfang gespendet. Insgesamt fragt man sich, wohin die vielen Millionen, die die EU oder die IOM für Bosnien und die Region Bihac zur Verfügung stellen, geflossen sind. Bei Geflüchteten dürfte davon so gut wie nichts angekommen sein. Und auch bei SOS Bihac dürfte davon nicht viel ankommen. Die vier ausgebildeten Mediziner*innen, die SOS Bihac seit Kurzem für die medizinische Versorgung im Lager Lipa anstellen konnte, arbeiten in 12 Stunden-Schichten rund um die Uhr für einen Verdienst von ca. 400 Euro monatlich. Weiteres medizinisches Personal scheint es im Lager nicht zu geben.
SOS Bihac hat ein Haus am Stadtrand von Bihac direkt an der Una gemietet, in dem derzeit freiwillige Helfer*innen aus dem Ausland wohnen können. Perspektivisch ist geplant, dieses Haus über das Aachener Netzwerk zu kaufen. In dem Haus sollen Geflüchtete, die krank oder verletzt oder von Pushbacks betroffen sind, zeitweise aufgenommen und psychologisch und sozial betreut werden.


Situation im Lager Lipa

„Ich habe schon zwei Jahre lang in Deutschland gelebt und habe da eine Ausbildung gemacht“ (Afghanischer Geflüchteter im Lager Lipa)


Das Lager Lipa liegt ca. 20 km entfernt von Bihac im Landesinneren. Von der Landstraße aus führt eine ca. 2 km lange völlig unebene Schotterstrecke zum Lager. Dieser Weg ist erst vor wenigen Monaten erstellt worden. Eine weitere Zufahrt gibt es nicht.
Das Lager liegt im freien bergigen Gelände, es sind sonst keine Behausungen weit und breit. Direkt neben dem Lagergelände sind Schilder aufgestellt, die vor Minen warnen, die noch aus dem Bosnienkrieg stammen. Um das Lager herum kann also auch nicht spazieren gegangen werden. Viele Geflüchtete gehen den Weg von Lipa nach Bihac zu Fuss, um sich Sachen zu besorgen. Ein Bus, der in einem nähergelegenen Dorf hält, fährt zwei mal am Tag. Die meisten Geflüchteten haben aber kein Geld, um mit dem Bus zu fahren.
In der zweiten Februar-Woche gab es im Lager einen Ausbruch von Krätze (Scabis). In den Medien ist dies stark hochgespielt worden, laut SOS Bihac wurde die Krankheit aber nur bei 10 % der Getesteten diagnostiziert. In einem Militärzelt am Eingang des Lagers werden die Geflüchteten gegen die Scabis behandelt und erhalten bei der Vorsprache neue Kleidung und in Bosnien (Velika Kladusa) zum Preis für ca. 17 Euro hergestellte neue Schlafsäcke – auch diese Kosten sind über internationale Spenden getragen.
Im Zentrum des Lagers befindet sich ein großes Zelt, das u.a. von der Caritas betrieben wird. Dort werden die Geflüchteten mit Essen versorgt. Ansonsten gibt es nur noch einen kleinen Supermarkt, der von einem Geflüchteten betrieben wird – die nützlichste Infrastruktur des Geländes. Die nach dem Brand neu aufgestellten Wohnzelte sind Rotkreuzzelte der bosnischen Armee, die beheizbar sind. Die Heizungen sind laut und ungesund (mit Diesel betrieben). Die neuen Unterkunftszelte sind direkt neben den ausgebrannten ehemaligen Zelten aufgebaut worden. Wer die Brandstiftung im Dezember begangen hat, ist nach wie vor nicht aufgeklärt. Klar ist jedoch, dass sowohl die EU als auch die bosnische Staatsregierung und letztlich auch die Stadtverwaltung von Bihac, auf dessen Gebiet das Lager offiziell steht, an den Verhältnissen vor Ort nichts ändern bzw. verbessern wollen. Der Katastrophenzustand, den wir dort mit eigenen Augen sehen konnten, ist der politisch gewollte Normalzustand.

„The Game“

Und so scheint die einzige „Lösung“ für die Geflüchteten zu sein, immer wieder den Weg über die Grenze zu versuchen. „The Game“ nennen sie das. Ein afghanischer Geflüchteter berichtete, dass er bereits 15 Mal an diesem schlechten Spiel teilnahm und leider jedesmal erwischt und wieder zurück geschoben wurde. In Gruppen von 20 bis 50 Personen gehen die Geflüchteten mit leichtem Gepäck los und halten sich zunächst ein bis zwei Tage im bergigen Gebiet in unmittelbarer Grenznähe auf. Am dritten oder vierten Tag gehen sie dann in kleinen Gruppen los und versuchen die „grüne Grenze“ zu überqueren. Auch am Tag vor unserer Ankunft gingen nach Angaben von Ortskundigen über 500 Geflüchtete los, davon 250 aus dem Lager Lipa, obwohl in den Höhenlagen immer noch strenge Kälte und Schnee waren. Ein Helfer erzählte zwei Tage später, dass noch niemand wieder zurück kam und mutmaßte schon, dass die kroatische Grenzpolizei möglicherweise ab und zu wegschaue. Doch eine Woche später berichtete er, dass viele wieder zurück seien.
„The Game“ – das ist die Realität für Flüchtlinge an den Grenzen der EU. Abgesehen davon, dass Pushbacks an sich illegal sind, weil jede Zurückschiebung ohne Prüfung des Asylantrags das international anerkannte Recht auf Asyl missachtet, sind die Berichte über brutale Gewalt bis hin zu folterähnlichen Methoden bei den Pushbacks gut dokumentiert. Diese Verletzungen des Flüchtlingsrechts und der Menschenrechte müssen bestraft werden und sie müssen aufhören! Vergangene Woche habe ich bei der Beratung in Tübingen einen afghanischen Flüchtling kennengelernt, der ein paar Level bei diesem „Game“ überstanden hat. Nachdem er aus Lesbos / Moria rauskam und es nach 5 Monaten Bihac über die Grenze und bis nach Deutschland geschafft hat, passierte was? Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Afghanistan – war da was? Wir sind wieder zu Hause – und auch bei uns werden die Rechte von Geflüchteten weiter missachtet. Wie fast alle anderen afghanischen Geflüchteten ist auch dieser junge Mann auf gute Beratung und anwaltliche Hilfe angewiesen, damit er vielleicht vor Gericht zu seinem Recht kommt.



Wie geht es weiter? Was passiert mit dem „Rest“?

Unterstützung weiterer Hilfsprojekte
Die sehr positive Resonanz auf unseren Aufruf „Tübingen hilft SOS Bihac“ im Januar 2021 macht es möglich, dass wir nicht nur Hilfe in Bosnien leisten können, sondern einen großen Teil der eingegangenen Kleiderspenden auch für die Unterstützung anderer Projekte und hilfsbedürftiger Menschen einsetzen können. Bereits am 19.2. haben wir den „Freunden für Porocan“, einer Organisation, die seit vielen Jahren armen Menschen in Bergregionen Albaniens hilft, 5 Paletten mit Kleiderkartons nach Mühldorf am Inn zum Weitertransport nach Albanien gebracht. Viele Säcke mit Schlafsäcken und Decken haben wir den „Drei Musketieren“ weitergegeben, die Hilfsprojekte in Flüchtlingslagern an der türkisch-syrischen Grenze betreiben.

SOS Griechenland - Aufruf zur Hilfe für Frauen und Kinder in griechischen Flüchtlingslagern!
So ist die Idee für ein Projekt für Frauen und Kinder in Griechenland entstanden. In der Flüchtlingshilfe aktive Tübinger*innen hatten bereits in den vergangenen Jahren Kontakt zu vor Ort tätigen Helfer*innen. Im Sommer 2020 gab es einen ersten Transport mit medizinischen Hilfsgütern in zwei Camps in Nordgriechenland.
In diesen zwei Flüchtlingslagern sind mehrere hundert Frauen und Kinder untergebracht, die in der letzten Zeit von den griechischen Inseln auf das Festland verlegt wurden. Die humanitären Bedingungen in diesen Lagern sind jedoch elend. Dorthin sollen Ende März die im Rahmen der Aktion „Tübingen hilft SOS Bihac“ gespendeten Kleider für Frauen und Kinder gebracht werden.
In den Lagern mangelt es über Kleidung hinaus an vielem Essentiellen. Deswegen wollen wir es mit dieser Aktion auch noch möglich machen, den dringenden Bedarf an Hygieneartikeln und medizinischem Material für die Krankenstationen zu decken.

Tübingen hilft SOS Bihac – Übersicht Lieferungen Hilfsgüter

 

Datum

Empfangs-Organisation

Lieferort

Ziel-Ort

Liefermenge

19.02.21

SOS Bihac

Bihac (BIH)

Bihac (BIH), Lipa (BIH)

243 Kartons Männerkleidung, 86 Kartons Schuhe, 144 Säcke Schlafsäcke&Decken, 67 Kartons Kleidung Frauen und Kinder - ca. 4,5 Tonnen

20.02.21

Freude für Porocan (Albanienhilfe)

Mühldorf am Inn

Süd-Albanien

5 Paletten Kleidung und Schuhe, ca. 1,2 Tonnen

21.02.21

Drei Musketiere Reutlingen

Reutlingen

Grenze Türkei-Syrien

ca. 100 Säcke mit Schlafsäcken und Decken

24.02.21

Rumänienhilfe Metzingen Haus Bethesda,

Ofterdingen

Rumänien

ca. 40 Kartons Männerkleidung und Schuhe

29.2.21

 

Tübingen

Grenze Italien-Frankreich

ca. 10 Kartons

 

geplant

 

 

 

21.03.21

Oikopolis Social Center Thessaloniki

Veria (GR)

Veria (GR), Alexandria (GR)

ca. 2,2 Tonnen Kleidung für Frauen und Kinder, med. Hilfsgüter

April 2021

SOS Bihac

Bihac (BIH)

Bihac (BIH)

ca. 1,5 Tonnen Kleidung, Schuhe, Schlafsäcke etc.

April 2021

Are You Syrious

Zagreb (HR)

Zagreb (HR)

ca. 0,5 Tonnen Kleidung, Schuhe, Schlafsäcke etc.

 

Für diese und weitere Projekte dieser Art freuen wir uns weiterhin über Geldspenden:

 

menschen.rechte Tübingen e.V.

VR Bank Tübingen

IBAN: DE25 6406 1854 0308 1020 02

BIC: GENODES1STW

 

Medienberichte und Links:

14.01.2021 Aufruf „Tübingen hilft SOS Bihac“

16.01.2021 Schwäbisches Tagblatt Tübingen: Warme Klamotten werden gesucht. Tübinger Organisationen rufen zu Spenden für Flüchtlinge in Bosnien-Herzegowina auf (PDF

18.02.2021 SWR aktuell: Kleiderspenden für Geflüchtete in Bosnien-Herzegowina. Volle Transporter von Ofterdingen nach Bihać gestartet

04.03.2021 Schwäbisches Tagblatt TübingenEin Konvoi des Tübinger Bündnisses Bleiberecht brachte Hilfsgüter in ein Flüchtlingslager an der EU-Außengrenze in Bosnien (PDF)

07.03.2021 Aufruf „SOS Griechenland - Aufruf zur Hilfe für Frauen und Kinder in griechischen Flüchtlingslagern!“

 

Kontakt: Bündnis Bleiberecht: bleiberecht@mtmedia.org, https://bleiberecht.mtmedia.org

move on – menschen.rechte Tübingen e.V.: info@menschen-rechte-tue.org; https://menschen-rechte-tu

 

7.3.2021 Bericht und Ausblick
Text: Andreas Linder, Kontakt: info@menschen-rechte-tue.org

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