Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan darf nicht zur Disposition gestellt werden

Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan darf nicht zur Disposition gestellt werden

Stellungnahme von zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter Meldestellen im Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan zum CDU-Papier "Deutschlandpakt in der Migrationspolitik"

An
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock
Bundesministerium des Inneren und für Heimat
Auswärtiges Amt
MdB der Parteien SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP


Sehr geehrte Damen und Herren,

wir sind besorgt über die aktuelle Debatte über die Flüchtlingspolitik in Deutschland. Die zivilgesellschaftlichen Meldestellen im Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) sind insbesondere besorgt darüber, dass die CDU in ihrem Papier „Deutschlandpakt in der Migrationspolitik“ vom 19.9.2023 die Forderung aufgestellt hat, alle freiwilligen Aufnahmeprogramme einzustellen und dabei wurde auch das BAP explizit angesprochen.

Wir möchten dringend an Sie appellieren, dieser Forderung auf keinen Fall nachzugeben. Wir können nachvollziehen, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um den Belastungen der Gesellschaft und dabei insbesondere der Kommunen zu begegnen, die sich aufgrund der gestiegenen Flüchtlingszahlen ergeben haben. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass menschenrechtliche Standards und eine menschenrechtsbasierte Außen- und Flüchtlingspolitik zur Disposition gestellt werden. Dies darf auch nicht dazu führen, dass Aufnahmeprogramme und das individuelle Recht auf Asyl gegeneinander ausgespielt werden.

Nach dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan und der dortigen Machtübernahme durch die Taliban hat die Bundesregierung bereits im Koalitionsvertrag vom November 2021 die Einrichtung eines humanitären Aufnahmeprogramms beschlossen, das über die bis dahin schon erfolgten Evakuierungen von Ortskräften und anderen gefährdeten Menschen hinausgeht. Mit dem daraufhin – nach langem Vorlauf - am 17.10.2022 in Kraft getretenen Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan sollen bis zum Ende der Legislaturperiode monatlich bis zu 1.000 Menschen aus Afghanistan, die in besonderer Weise in Gefahr sind und einen Bezug zu Deutschland haben, die Zusage für eine Aufnahme erhalten können. Zivilgesellschaftliche Organisationen, die im Kontakt zu Gefährdeten stehen, können Anträge für Aufnahmen einreichen, die von einer eigens eingerichteten Koordinierungsstelle und einer aus BMI und AA bestehenden Kommission geprüft werden.

Die Meldestellen im BAP setzen sich  ein für Menschen, die sich häufig gemeinsam mit staatlichen Stellen, Firmen oder Organisationen aus Deutschland mutig für Frieden, Demokratie, Frauen- und Menschenrechte stark gemacht haben und in den Bereichen Menschenrechte, Justiz, Medien, Bildung, Kunst, Sicherheit usw. gearbeitet haben und aufgrund ihrer früheren Tätigkeiten oder aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder Religionszugehörigkeit unter dem Regime des „Islamischen Emirats“ der Taliban in Lebensgefahr sind. Wir setzen uns dafür ein, dass diese Menschen und ihre nächsten Angehörigen durch eine Aufnahme in Deutschland vor der Rache der neuen Machthaber durch schwere Menschenrechtsverletzungen oder dem Tod bewahrt werden.

Inzwischen ist fast ein Jahr vergangen. Im Antragssystem der Bundesregierung befinden sich über 4.000 vollständig vorbereitete Anträge. Die über 70 zivilgesellschaftlichen Meldestellen und die Koordinierungsstelle des Bundes haben darüber hinaus eine Summe von über 40.000 weiteren Anträgen im System. Dies zeigt, dass der gemeldete Schutzbedarf von gefährdeten Menschen aus Afghanistan sehr hoch ist. Leider läuft das Auswahlverfahren aus unserer Sicht bisher sehr schleppend. Eine geringe dreistellige Zahl von "Hauptpersonen" kam bisher in das Auswahlverfahren, muss aber lange Wartezeiten hinnehmen. Hinzu kommen Gefahren und praktische wie finanzielle Hürden für die Betroffenen bei der Beschaffung von Reisepapieren, Visa für Pakistan und im Ausreiseverfahren. Gleichzeitig verschärft sich in Afghanistan die Gefahrensituation permanent für viele Menschen (insbesondere auch Frauen und Mädchen) und jeder weitere Tag Lebensgefahr führt zu weiterer Angst und Verzweiflung. Eine tatsächliche Aufnahmezusage haben bisher nur sehr wenige der Antragsteller:innen erhalten. Erst am 27. September dieses Jahres erfolgte die Ausreise der ersten 13 Personen, die eine Aufnahmezusage über das BAP erhalten haben. Laut Auskunft des BMI haben bisher ca. 210 Hauptpersonen eine Aufnahmezusage erhalten für insgesamt rund 600 Personen, die darüber sukzessive informiert werden.

Wir erwarten, dass das Programm so weitergeführt wird, dass die anvisierte Zahl von 1.000 Personen pro Monat auch zeitnah erreicht wird. Und wir wollen auch, dass die Bundesregierung an der anvisierten Gesamtzahl von bis zu 36.000 Menschen für die Gesamtdauer des Programms festhält und das Programm ggf. aufgrund der Verzögerungen der Anfangszeit verlängert. In den Monaten seit Bestehen des Programms hat sich eine intensive Zusammenarbeit zwischen den verantwortlichen Ministerien und uns Meldestellen entwickelt. Diese Zusammenarbeit im Interesse der Zielstellung des BAP schätzen wir sehr. Und ganz im Gegensatz zur CDU sind wir der Auffassung, dass das BAP dringend mit allen verfügbaren Kräften weitergeführt werden muss. Es ist kaum erträglich, wie die CDU wahlkampfgetrieben zunächst eine Beschneidung des individuellen Grundrechts auf Asyl in die Diskussion bringt und proklamiert, dass es doch besser sei, wirklich verfolgte Menschen, die nicht die Mittel für gefährliche Fluchtwege haben, per Kontingent aufzunehmen, um dann wenige Wochen später auch die Einstellung aller freiwilligen Aufnahmeprogramme zu fordern. Eine tatsächliche Reduzierung der Zahl von Flüchtlingen in Deutschland und der EU wird es aus unserer Sicht nur dann geben, wenn eine Politik betrieben wird, die zu einer wirksamen Reduzierung von Fluchtursachen führt. Mit Abwehrmaßnahmen an den EU-Außengrenzen und dem Abbau von menschenrechtlichen Normen wie dem individuellen Recht auf Asyl wird das nicht gelingen. Afghanistan ist das beste Beispiel dafür, dass jahrzehntelanger Krieg vor allem zu Millionen von Flüchtlingen führt. Die Einstellung eines Aufnahmeprogramms würde daran schlicht nichts ändern.

Wir fordern daher die Bundesregierung auf, das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan uneingeschränkt und vollumfänglich weiterzuführen und dies in der öffentlichen Kommunikation auch eindeutig klar zu machen. Wir erwarten, dass dafür gesorgt wird, dass die Anträge zügiger bearbeitet werden und dass Aufnahmezusagen und tatsächliche Aufnahmen mindestens im geplanten Umfang umgesetzt werden. Deutschland kann sich als stolz zeigen, dass es bedrohten, verfolgten und entrechteten Menschen aus diesem Land Schutz gewährt. Dies ist aktive Menschenrechtspolitik, zu der es keine Alternative gibt. Es geht dabei letztlich um eine begrenzte und für Deutschland zu bewältigende Zahl von Menschen.

Wir hoffen schließlich, dass die Menschen, die im Rahmen des Programms aufgenommen werden, auch auf der kommunalen Ebene die nötige strukturelle und praktische Unterstützung bei der Integration in unsere Gesellschaft erhalten werden. Die Kommunen und die Gesellschaft können das leisten – wenn sie wollen und wenn sie vom Bund angemessen unterstützt werden. Und selbstverständlich werden auch wir einen engagierten Beitrag dazu leisten.

Mit freundlichen Grüßen

Aid A - Aid for Artists in Exile e.V., Hamburg

Deutscher Anwaltverein, Berlin

DIE LINKE im Europaparlament, Dresden

European Organization for Integration e.V., Berlin

Fluchtpunkte e.V., Tübingen

Freundeskreis Asyl, Crailsheim

Fridays For Future Tübingen, Tübingen

ILGA Asia, Bangkok, Thailand

Kabulluftbrücke, Berlin

kit jugendhilfe Stadtteiltreff NaSe, Tübingen

KULA Compagnie, Berlin

move on - menschen.rechte Tübingen e.V., Tübingen

Oxfam Deutschland, Berlin

Save me Konstanz, Konstanz

Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin

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