Quo vadis Menschenrechte? Erfolgreiche Veranstaltung mit traurigen Aussichten
Über 100 Menschen, darunter über die Hälfte (ehemalige) Geflüchtete aus Afghanistan kamen zu unserer Veranstaltung "Quo vadis Menschenrechte -Was wird aus dem Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan?" am 21.12.2024 ins Gemeindehaus der Eberhardskirche in Tübingen. Zunächst begrüßte der Vorstand die Familien W. und A., die über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP) aufgenommen wurden und jetzt im Raum Tübingen leben. Nach einem umfangreichen Informationsteil und einem Podiumsgespräch mit geladenen Gästen konnten die Teilnehmenden bei einem leckeren afghanischen Essen und bei afghanischer Musik gemütlich beisammen sein.
Zu Beginn referierte Andreas Linder über die Aktivitäten des Vereins move on -menschen.rechte Tübingen e.V. im Projekt "save our families", inbesondere über die vom Verein gestellten Anträge im Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan. Im Anschluss berichtete er zusammen mit Morssal Omari und Idrees Ahmadzai von einer Besuchsreise nach Islamabad, wo im November zahlreiche Familien besucht wurden, die nach Anträgen des Vereins auf das Visum im Rahmen des BAP warten. Interessierte können die Präsentation unter info@menschen-rechte-tue.org anfordern.
Im Anschluss moderierte Julia Elwing ein Podiumsgespräch mit Elaha Hakim von der Organisation Kabulluftbrücke,
Philipp Braun vom Lesben- und Schwulenverband Deutschland LSVD sowie Sadiq Zartila vom Flüchtlingsrat BW. Elaha Hakim stellte die umfangreiche Arbeit der Kabulluftbrücke vor (Unterstützung von über 4.000 Ausreisen aus Afghanistan). Sie stellte in ihrem Vortrag auch die stetig schlimmer gewordene systematische Unterdrückung von Frauen in Afghanistan heraus. Vor diesem Hintergrund bezeichnete sie das auslaufende BAP, bei dem bislang nur 1000 von den versprochenen bis zu 36.000 Personen gerettet worden seien, als gescheitert. Philipp Braun referierte über die besondere Gefährdung von LSBTIQ-Personen in Afghanistan. Er kritisierte, dass die Bundesregierung offenbar das BAP sang- und klanglos auslaufen lassen wolle, obwohl das für eine Weiterführung nötige Geld vorhanden und in den Haushalt eingestellt sei.
Zu der Veranstaltung waren alle Tübinger Bundestagskandidat:innen eingeladen, aber kein:er kam - nur einer (CDU !) sagte aktiv ab. Ja, vielleicht lag es am Wetter oder am Termin kurz vor Weihnachten, dass kein:e Politiker:in und kein:e Medienvertreter:in Zeit für dieses Thema hatte. Zeit genug hatte das Bundesministerium des Inneren und für Heimat, die Weiterführung der Koordinierungsstelle der Zivilgesellschaft für das BAP zum Jahresende einzustellen und das Internettool für die Einbringung von Anträgen abzustellen. Was Afghanistan angeht, scheint die Antwort auf die Frage der Veranstaltung leider klar zu sein: Deutschland verabschiedet sich von aktiver Menschenrechtspolitik. Die CDU summiert in ihrem Wahlprogramm sogar freiwillige Aufnahmeprogramme wie das BAP unter dem Thema "illegale Migration". Und die will man nicht mehr haben, sprich das Grundrecht auf Asyl ist nicht mehr sicher in Deutschland. Überschrift über das gesamte Kapitel lautet in AfD-Jargon: "Ja zum Stopp der illegalen Migration".
Weder wir noch andere Organisationen werden jedoch unsere Anstrengungen aufgeben, (extrem) gefährdete Personen aus Afghanistan herauszuholen. Allein wir haben eine Liste von 50 Anträgen für politisch aktive Frauen, die im BAP entweder nicht ausgewählt oder überhaupt nicht angeschaut wurden. Für solche Personen werden wir uns für eine Fortsetzung des BAP oder für ein neues Programm stark machen - denn auf diese Menschen warten in Afghanistan nur schwerste Menschenrechtsverletzungen (die sie häufig bereits erlitten haben) oder der Tod.
Flyer Veranstaltung "Quo vadis Menschenrechte? 21.12." (PDF)
Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan = nicht eingelöstes Versprechen. Zum Stand Dezember 2024 nur 1093 Personen in Deutschland aufgenommen, ca. 2000 warten in Islamabad mit Aufnahmezusage, ca. 17.000 wurden ausgewählt, haben aber keine Aufnahmezusage erhalten und schmoren in Unsicherheit in Afghanistan. ca. 30.000 wurden überhaupt nicht beachtet.