Plan.B - viel Arbeit, wenig finanzielle Unterstützung

Das Projekt „Plan.B“ berät und unterstützt geflüchtete Menschen im Landkreis Tübingen und der weiteren Region bei allen Bedarfen rund um das Asylverfahren und das Aufenthaltsrecht. Trotz der schwierigen Umstände und Einschränkungen durch die Corona-Pandemie war 2021 bei Plan.B ein sehr aktives Jahr. In rund 150 "Einzelfällen" wurde sehr aktiv und intensiv und zum Teil auch sehr erfolgreich Hilfe geleistet. Diese Arbeit erfolgt nach wie vor überwiegend ehrenamtlich.

Weder Stadt noch Landkreis noch Land Baden-Württemberg unterstützen diese Arbeit, obwohl das Land bereits vor über einem Jahr in seinem Koalitionsvertrag angekündigt hat, dass es auch unabhängige Beratungsstellen für Geflüchtete finanziell fördern will. Passiert ist bisher noch nichts. Das Schwäbische Tagblatt berichtete am 10.5.22 über die Arbeit von Plan.B und die mangelhafte Förderung. Im Folgenden ein ausführlicher Auszug aus dem Jahresbericht von move on für 2021, in dem die Arbeit von Plan.B ausführlich beschrieben wurde.

Auszug aus dem Jahresbericht des Vereins move on - menschen.rechte Tübingen e.V. vom 28.4.2022

"3.1. Beratungsprojekt Plan.B

Das Projekt „Plan.B“ berät und unterstützt geflüchtete Menschen im Landkreis Tübingen und der weiteren Region bei allen Bedarfen rund um das Asylverfahren und das Aufenthaltsrecht. Im Mittelpunkt stehen die Beratung im Asylverfahren und die Unterstützung für Geflüchtete, deren Asylanträge abgelehnt wurden und die sich aus der Duldung heraus, z.B. über Beschäftigung oder Ausbildung, eine Bleibe- und Integrationsperspektive in Deutschland schaffen wollen. Diese Arbeit wirkt gegen Desintegrationsprozesse und trägt zur nachhaltigen Integration bei.
Das Projekt unterstützt insbesondere bei der Erfüllung der sog. Mitwirkungspflichten (Identitätsklärung, Passbeschaffung), bei der Antragstellung für Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldungen sowie anderen rechtlichen Perspektiven für eine Aufenthaltsverfestigung. Plan.B arbeitet mit Sozialarbeiter*innen, Beratungsstellen wie K.I.O.S.K. und der KIT Jugendhilfe, mit Anwält*innen, ehrenamtlich Engagierten, Arbeitgeber*innen und den staatlich bezahlten Sozialarbeiter*innen zusammen und übernimmt dabei viele Aufgaben, die von Letzteren nicht geleistet werden können (oder sollen). Bereits im Jahr 2020 begannen wir mit dem Beratungsprojekt Plan.B, auch vor dem Hintergrund der gesetzlichen Verschärfungen durch das „Geordnete Rückkehr-Gesetz“.

Beratungspraxis im Jahr 2021
Trotz der schwierigen Umstände und Einschränkungen durch die Corona-Pandemie war 2021 bei Plan.B ein sehr aktives Jahr. Im Plan.B-Team arbeiten mittlerweile fünf Berater*innen und zwei geflüchtete Helfer*innen mit. Diese bieten mehrmals wöchentlich Beratungszeiten im move-on Büro im Janusz-Korczak Weg in Tübingen (Kreisgeschäftsstelle des Paritätischen) sowie in Flüchtlingsunterkünften im Breiten Weg, der Europastraße, der Wilhelm-Keil-Straße, in Mössingen und teilweise aufsuchend/mobil.
Im Projekt arbeiteten zwei auf Honorarbasis bezahlte und zwei ehrenamtliche Berater*innen sowie zwei Geflüchtete auf Basis von Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliches Engagement. Diese führten wöchentlich zwei bis drei Beratungstermine (Sprechstunden mit offenem Angebot und / oder nach Terminvergabe) durch. Diese Beratungstermine dauern zwischen zwei und acht Stunden. Dies ergibt ein Beratungsangebot von wöchentlich durchschnittlich ca. 20 Stunden. Die individuellen Beratungstermine wurden über einen Online-Kalender und eine Fall-Dokumentation festgehalten.

Das Projekt verzeichnet im Förderzeitraum 144 Beratungsfälle, davon sind 44 Familien und 100 Einzelpersonen. 86 Beratungsfälle wurden im Jahr 2021 neu aufgenommen, in 56 Fällen besteht eine bereits z.T. mehrjährige Begleitung. In 79 Beratungsfällen war die Beratung am Ende des Jahres 2021 nicht abgeschlossen, sondern läuft weiter. Der zeitliche Aufwand ist je nach Fall und Bedarf unterschiedlich:
    • Beratung einmalig oder weniger als 2 Stunden:     48 Beratungsfälle
    • Beratung mehrmals, 2 bis  5 Stunden        47
    • Beratung mehrmals, 5 – 20 Stunden            28
    • Beratung mehrmals, über 20 Stunden        13
    • Beratung / Begleitung über mehrere Jahre        24
Im Projekt arbeiten auch ehrenamtliche Berater*innen mit, die ihre Fälle und ihren Aufwand z.T. nicht bzw. nicht exakt erfassen. Diese sind hier nicht aufgeführt.
Ziel: Erhaltung bzw. Erreichung der Beschäftigungserlaubnis
Bereits während der Aufenthaltsgestattung, aber v.a. im Duldungsstatus / Vermeidung von Beschäftigungsverboten und damit Erhalt der Möglichkeit der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung und Vermeidung der Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen
Dieses Ziel wurde aus unserer Sicht gut erreicht. In 38 Beratungsfällen insbesondere bei Personen mit Duldung erreichten wir, dass ein ausländerrechtliches Beschäftigungsverbot verhindert oder überwunden werden konnte. In 53 Beratungsfällen unterstützten wir teilweise sehr intensiv bei allen Bedarfen rund um die Klärung der Identität und die Beantragung und Beschaffung von Identitätsdokumenten, insb. Nationalpässen, was wiederum die Voraussetzung für den Erhalt der Beschäftigungserlaubnis bzw. die Überwindung des Beschäftigungsverbots war.


Ziel: Beratung im Asylverfahren zur Erreichung einer Aufenthaltserlaubnis.
Bei Personen mit abgelehntem Asylantrag, aber noch laufendem Klageverfahren beraten und wir bei der Vorbereitung auf den Gerichtstermin in Kooperation mit Anwält*innen und anderen Akteuren mit dem Ziel der Erreichung von Schutzstatus und Aufenthaltserlaubnis
Plan.B unterstützt bei der Vorbereitung auf Anhörungen, was im Verfahren tätige Rechtsanwälte in aller Regel nicht leisten (können) sowie bei der Einreichung von Klagen gegen die Ablehnung von Asylanträgen wie in der Folge der Vorbereitung auf die Gerichtsverhandlung. Wenn das Gericht eine positive Entscheidung fällt, unterstützen wir bei der Antragstellung auf eine Aufenthaltserlaubnis und bei den dafür erforderlichen Nachweisen.

Im Jahr 2021 lag ein Schwerpunkt in der Unterstützung von syrischen Männern, die vom BAMF nur einen subsidiären Schutz erhalten haben. Mit Berufung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom November 2020 unterstützten wir in Zusammenarbeit mit Anwälten 17 syrischen Männer bzw. Familienväter bei der Stellung von Asylfolgeanträgen, bei den aufgrund von Kriegsdienstverweigerung der Anspruch auf Zuerteilung des Flüchtlingsschutzes erhoben wurde. Diese Verfahren laufen noch. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Unterstützung von afghanischen Asylsuchenden, deren Asylanträge vom BAMF abgelehnt wurden.

Ziel Erreichen eines gesicherten Duldungsstatus (z.B. Beschäftigungs- oder Ausbildungsduldung) und perspektivisch eines gesicherten Aufenthaltsstatus
Um ein Beschäftigungsverbot oder gar eine Abschiebung zu verhindern, unterstützt Plan.B Personen, deren Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde, bei der Erarbeitung von Perspektiven für mindestens einen gesicherten Duldungsstatus und allen dafür nötigen Schritten, die letztlich auch eine nachhaltige Integration bewirken können. Wir unterstützen  hierbei insbesondere bei der Klärung der Identität und der Beantragung von Identitätsdokumenten und Pässen, die für die Beschäftigungserlaubnis und die weitere Sicherung des Aufenthalts nötig sind. Schließlich unterstützen wir bei allen Schritten für die Stellung eines Antrags für eine Beschäftigungsduldung (§ 60d AufenthG), Ausbildungsduldung (§ 60c AufenthG) oder, sofern möglich, Bleiberechtsregelungen nach § 25a oder 25b AufenthG oder anderen Möglichkeiten. Im Jahr 2021 konnten in 21 der Beratungsfälle eine gesicherte Duldung in Form einer Beschäftigungs- oder Ausbildungsduldung erreicht werden. In (leider nur) zwei Fällen konnte eine Aufenthaltserlaubnis nach § 19d, 25a oder 25b erreicht werden. Viele Verfahren laufen aber noch.

Ziel: Vermeidung von sozialer und psychischer Desintegration, was auch zur Vermeidung von Konflikten mit der Aufnahmegesellschaft führen kann
Eine Duldung mit Beschäftigungsverbot und/ oder gekürzten Sozialleistungen führt in den allermeisten Fällen zur sozialen Desintegration und Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen, ohne dass (wie in den meisten Fällen) der Aufenthalt tatsächlich beendet werden kann. Insofern fördert das Erreichen eines gesicherten Duldungsstatus oder besser einer Aufenthaltserlaubnis in fast jedem Fall eine psychische und soziale Stabilisierung und eine nachhaltige Integration in die Gesellschaft ohne Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen. Dieses Ziel konnte in zahlreichen Fällen erreicht werden. Jedoch gibt es auch einzelne Fälle, bei denen Bleibeperspektive und nachhaltige Integration trotz umfangreicher Bemühungen aufgrund von negativen Faktoren in der Person des/der Klient*in oder aufgrund behördlicher Hindernisse mittelfristig nicht erreichbar sind.


Ziel: Qualifizierung und Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen, Fachkräften, Kooperationspartner*innen und Arbeitgeber*innen
Im Jahr 2021 gab Plan.B folgende fachliche Arbeitshilfen / Fachinformationen für Geflüchtete, Ehrenamtliche, Fachkräfte und Arbeitgeber*innen heraus:
    • März 2021: Jetzt Abschiebungsverbote für afghanische Geflüchtete mit Duldung beantragen?
    • Mai 2021: basic info: Niederlassungserlaubnis
    • Mai 2021: Afghanistan: Sammelabschiebung (nur) verschoben - Abschiebemoratorium jetzt! (zweisprachig DE / FAR)
    • Mai 2021: Informationen für afghanische Flüchtlinge und Ihre Unterstützer*innen. Wie können Sie eine Tazkira, einen Pass oder andere Dokumente erhalten? (Update, zweisprachig DE / FAR)
    • Mai 2021 (mit Update Oktober): basic info: Beschäftigungsduldung und Härtefalleingabe
    • 20.08.2021: Informationen für in Deutschland lebende afghanische Staatsbürger*innen und ihre bedrohten Angehörigen in Afghanistan Antrag für Aufnahme in Deutschland über einen Evakuierungsflug
    • September 2021: basic info: Bleiberecht bei nachhaltiger Integration (§25b AufenthG)
    • 14.09.2021: Informationen für Geflüchtete aus Afghanistan: Ausstellung von Tazkira und Pässen beim Afghanischen Konsulat München weiter (eingeschränkt) möglich!
    • Oktober 2021: Informationen für Geflüchtete aus Afghanistan und ihre Unterstützer*innen: Was folgt aus der Machtübernahme durch die Taliban? Informationen zu Asylfolgeanträgen und zur Erfüllung der „Mitwirkungspflichten“ (zweisprachig DE / FAR)
    • 11.11.2021 Offener Brief an die innen- und integrationspolitischen Sprecher*innen des
    • Landtags von Baden-Württemberg: Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan erfordert eine menschenrechtlich orientierte Flüchtlingspolitik und Konsequenzen beim asyl-und aufenthaltsrechtlichen Umgang mit afghanischen Geflüchteten in Baden-
    • Württemberg
Diese Dokumente finden sich auf den Homepages von move on und von Plan.B: https://planb.social/bleiben/materialien

Aufgrund der Pandemie  wurden Qualifizierungs- bzw. Fortbildungsveranstaltungen zurückgestellt. Am 15.2. 2021 – kurz vor der Landtagswahl - führten wir mit Kooperationspartnern die (Online-) Podiumsdiskussion „Integration statt Abschiebung – wie fair ist die Beschäftigungsduldung?“ durch.

Arbeitsweise und Zusammenarbeit im Team
Das Projekt arbeitet einzelfallbezogen. Die Beratung ist
    • vertraulich: Mit den Klient*innen wird eine Beratungsvereinbarung abgeschlossen, in der auch festgehalten ist, dass die Beratenden zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Im Rahmen der Beratung erhobene Daten und Dokumente werden gemäß den Datenschutzgesetzen vor unbefugtem Zugriff geschützt.
    • unentgeltlich: Es werden von den Klient*innen keinerlei Gebühren für die Beratungstätigkeit erhoben
    • parteilich: Die Beratenden vertreten die Interessen der Klient*innen und sind so unabhängig wie möglich von staatlichen oder wirtschaftlichen Interessen
    • rechtlich unverbindlich: Die Beratenden sind keine Fachanwält*innen, sondern agieren im Vorfeld anwaltlicher Tätigkeit und übernehmen Aufgaben, die Rechtsanwält*innen häufig aus Zeitgründen nicht ausführen können. Die Beratenden arbeiten im Einzelfall Rechtsanwält*innen zu und mit diesen zusammen.Gemäß dem Rechtsdienstleistungsgesetz werden keine Aufgaben übernommen, die nur von ausgebildeten Jurist*innen ausgeführt werden dürfen.

Das Beratungsteam traf und trifft sich wöchentlich zu einer Arbeits- und Einzelfallbesprechung. (wöchentlich Freitag 11.30 Uhr bis 13 Uhr) Hinzu kamen Termine für die Vernetzung mit Kooperationspartner*innen sowie Veranstaltungen etc. Die Arbeit an den Einzelfällen und die Zusammenarbeit im Team erfolgte primär über eine Next-Cloud, in die die Einzelfalldaten sowie Fachinformationen, Kalender und Teaminterna abgelegt sind. Diese Daten sind für Außenstehende unzugänglich.

(Interne) Weiterbildung: Etwa alle zwei  bis drei Monate gibt es ein Berater*innentreffen, zu dem die Plan.B-Berater*innen, aber auch Kooperationspartner*innen und Interessierte eingeladen werden. Bei diesen Terminen werden aktuelle fachliche Fragen und Themen besprochen und diskutiert und sowie knifflige Einzefallfragen besprochen. Im Jahr 2022 wird das Team auch an einer Supervision teilnehmen.

Beratungsprojekt Plan.B (siehe auch 3.1.):
Im Jahr 2021 hatten wir für Plan.B Ausgaben von insgesamt 31.091 Euro. Davon entfielen ca. 22.146 Euro auf Honorare und 1.680 Euro auf Aufwandsentschädigungen und ca. 6.000 Euro auf Sachkosten, darunter auch Kosten für Fahrtkosten, Übersetzungen, Botschaftsfahrten, Rechtshilfe. Wir erhielten eine Förderung durch die UNO Flüchtlingshilfe über 5.000 Euro und von der Wegrand Stiftung ebenfalls über 5.000 Euro. Eine Anteil von 5.000 Euro aus einer Förderung von 2.000 Euro durch die Eduard Pfeiffer Stiftung wurde ebenfalls für 2021 verwendet. Für das Projekt erhielten wir zweckgebundene Spenden von insgesamt 10.445 Euro, darunter zwei Großspenden vom Mütter- und Familienzentrum Mössingen / Freundeskreis Asyl Mössingen über 1.000 und 2.000 Euro (letztere für 2022), womit diese unsere seit Jahren bestehende Beratungsaktivität in Mössingen unterstützen.

Die Beratungsaktivitäten bei Plan.B übersteigen den Aufwand, der ehrenamtlich leistbar ist. Zwei der Berater*innen arbeiten im Umfang von mehr als einer 50 % Stelle. Dennoch konnten wir auch im Jahr 2021 nur Honorare im Umfang von max. 20 Stunden im Monat für diese zwei Personen bezahlen. Die geflüchteten Mitarbeiter-*innen erhalten eine Aufwandsentschädigung für ehrenamtliches Engagement. Die weiteren Berater*innen erbringen ihre Leistungen zum Teil ganz unentgeltlich. Da wir Plan.B in den kommenden Jahren fortsetzen, ausbauen und verstetigen möchten, haben wir uns im September 2021 auch an das Land Baden-Württemberg gewandt, das eine Unterstützung derartiger Projekte ausdrücklich in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, allerdings bisher nichts davon umgesetzt hat. Die Finanzierung für das Beratungsprojekt Plan.B für die kommenden Jahre ist prekär und nicht gesichert.
Gutes Fahrrad ist teuer. Aber kommt Zeit kommt Fahrrad."

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