Offener Brief an die Justizministerin zum Bundesaufnahmeprogramm

Am vergangenen Donnerstag informierte der Verein move on – menschen.rechte Tübingen e.V. im Eberhardsgemeindehaus in Tübingen bei einer Informationsveranstaltung über das „Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan“. Im Rahmen dieses humanitären Aufnahmeprogramms sollen monatlich bis zu 1.000 Menschen, die in Afghanistan in Gefahr sind, eine Aufnahmezusage erhalten können. Der Verein, der seit Jahren Geflüchtete aus Afghanistan unterstützt, gehört zu den bundesweit zahlreichen Meldestellen der Zivilgesellschaft für dieses Programm.

Nach dem desaströsen Ende des 20-jährigen „war on terror“, der zigtausende Opfer vor allem in der Zivilbevölkerung verursachte und am Ende den Taliban die Macht über das Land überließ, evakuierte auch Deutschland bislang rund 27.000 Personen, die sich für Frieden, Menschenrechte und Demokratie eingesetzt und mit dem Westen zusammengearbeitet haben. Das Bundesaufnahmeprogramm stellt eine Fortsetzung dieser Maßnahmen dar, mit dem Ziel, Menschen, die sich in besonderer Weise in Gefahr befinden und Bezüge zu Deutschland haben, in Sicherheit zu bringen. Bereits unmittelbar nach dem Umsturz hat auch der Verein move on in über 50 Fällen Anträge auf Aufnahme in Deutschland gestellt für in Gefahr befindliche Verwandte von im Raum Tübingen lebenden Afghan*innen. Diese Anträge wurden damals vom zuständigen Auswärtigen Amt zum Teil abgelehnt, zum Teil einfach nicht bearbeitet. Im Rahmen des neuen Bundesaufnahmeprogramms gibt es jetzt für einige dieser damaligen Anträge eine neue Chance. Der Verein hat bereits mehrere Anträge, die sehr aufwendig sind, gestellt, und aktuell noch eine Warteliste von über 30 Fällen.

Die knapp 50 Teilnehmer*innen der Veranstaltung, die meisten davon afghanische Geflüchtete aus der Region, unterzeichneten am Ende der Veranstaltung auch einen offenen Brief an die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges. Diese hatte sich Ende November in einem Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser offen gegen das Bundesaufnahmeprogramm ausgesprochen und dieses vor dem Hintergrund des Zugangs von Ukraine-Flüchtlingen als „nicht verantwortbar“ bezeichnet (vgl. Südwest Presse 24.11.2022). Demgegenüber sehen die Unterzeichner*innen des Offenen Briefs „in keiner Weise verantwortbar, diese Menschen im Stich zu lassen“. Viele Menschen befänden sich nach der Machtübernahme durch die Taliban noch mehr in Gefahr als davor schon und dafür habe der Westen eine hohe Mitverantwortung. Die Unterzeichner*innen forderten die Justizministerin auf,  „sich dem Bundesaufnahmeprogramm nicht weiter entgegenzustellen. Wir hoffen für die Menschen, die eine Rettung aus Afghanistan bekommen können, dass diese gut in Baden-Württemberg aufgenommen werden und nicht schlechter als andere behandelt werden. Dazu gehört auch, dass das Land und die Kommunen helfen, den nötigen Wohnraum zu organisieren. Die aus Afghanistan Geretteten und die hier in Deutschland bereits lebenden Verwandten werden Ihnen dies sehr danken. Wir wissen, dass die Regierung von Baden-Württemberg und die hier lebenden Menschen viele Anstrengungen unternehmen, um Flüchtlingen zu helfen. Wir bitten sehr, dass Sie die wegen dem Krieg in Afghanistan in besonderer Gefahr befindlichen Menschen nicht von dieser Hilfe ausschließen.“

Unter dem Motto „save our families“ veröffentlichte der Verein move on Anfang Dezember auch einen neuen Spendenaufruf für Menschen, die nicht aus Afghanistan raus können und sich dort in einer humanitären Notlage befinden. Im vergangenen Jahr erhielt der Verein 35.000 Euro Spendengelder für diesen Zweck und konnte damit mehrere Monate lang ca. 70 Familien in Afghanistan beim Überleben unterstützen. Das Geld war im August 2022 aufgebraucht. Mit dem neuen Spendenaufruf hofft der Verein für diesen Winter wieder auf eine vergleichbare Spendensumme. Die Spenden werden über persönliche Kontakte zu im Raum Tübingen lebenden Verwandten direkt an die Empfänger*innen in Afghanistan transferiert.

 

Offener Brief an Justizministerin Gentges (PDF)

Der offene Brief an Justizministerin Gentges im Wortlaut:

Offener Brief der Teilnehmer*innen der Informationsveranstaltung für afghanische Geflüchtete und ihre Unterstützer*innen über das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan vom 15. Dezember 2022 in Tübingen

Sehr geehrte Frau Justizministerin Gentges,

mit großer Bestürzung haben wir gelesen, dass Sie sich in einem Brief an die Bundesinnenministerin Nancy Faeser gegen das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan ausgesprochen haben. Wie den Medien zu entnehmen ist, sollen Sie gesagt haben, dass das Bundesaufnahmeprogramm vor dem Hintergrund der zahlreichen Flüchtlinge, die vor dem Ukraine-Krieg fliehen mussten, „in keiner Weise verantwortbar“ sei.

Wir möchten an Sie appellieren, nicht die einen gegen die anderen Kriegsflüchtlinge auszuspielen. Im Unterschied zu Ihnen sind wir ganz eindeutig der Meinung, dass die Rettung und Aufnahme von in Gefahr befindlichen Menschen aus Afghanistan in besonderer Weise verantwortbar ist. In Afghanistan befinden sich sehr viele Menschen in Gefahr, weil sie sich für Frieden, Menschenrechte und Demokratie eingesetzt haben. Dabei haben sich diese Menschen auf die westlichen Militärkräfte und die Hilfsorganisationen verlassen und mit diesen zusammengearbeitet. Seit dem Abzug der westlichen Truppen und der Machtübernahme durch die Taliban befinden sich diese Menschen noch mehr in Gefahr als davor schon. Der „Westen“ und damit auch Deutschland haben eine beträchtliche Mitverantwortung für die desaströse Situation in Afghanistan.

Wir finden es deswegen in keiner Weise verantwortbar, diese Menschen im Stich zu lassen. Wir hoffen daher, dass Sie und Ihre Regierung und auch die Behörden des Landes Baden-Württemberg, die Ihnen unterstehen, sich dem Bundesaufnahmeprogramm nicht weiter entgegenstellen. Wir hoffen für die Menschen, die eine Rettung aus Afghanistan bekommen können, dass diese gut in Baden-Württemberg aufgenommen werden und nicht schlechter als andere behandelt werden. Dazu gehört auch, dass das Land und die Kommunen helfen, den nötigen Wohnraum zu organisieren. Die aus Afghanistan Geretteten und die hier in Deutschland bereits lebenden Verwandten werden Ihnen dies sehr danken. Wir wissen, dass die Regierung von Baden-Württemberg und die hier lebenden Menschen viele Anstrengungen unternehmen, um Flüchtlingen zu helfen. Wir bitten sehr, dass Sie die wegen dem Krieg in Afghanistan in besonderer Gefahr befindlichen Menschen nicht von dieser Hilfe ausschließen.

Mit freundlichen Grüßen

 

نامه سرگشاده شرکت کنندگان در رویداد اطلاع رسانی برای پناهندگان افغان و حامیان آنها در مورد برنامه پذیرش فدرال در افغانستان در 15 دسامبر 2022 در توبینگن

 

جنجس وزیر محترم دادگستری

با تاسف فراوان خواندیم که شما در نامه ای به وزیر کشور فدرال، نانسی فائزر، علیه برنامه پذیرش فدرال در افغانستان صحبت کردید. همانطور که رسانه‌ها جمع‌آوری کرده‌اند، گفته می‌شود که شما گفته‌اید که برنامه پذیرش فدرال با توجه به تعداد زیادی از پناهندگانی که مجبور به فرار از جنگ در اوکراین بودند، "به هیچ وجه مسئول" نبود.

ما می خواهیم از شما درخواست کنیم که یک پناهنده جنگی را در برابر دیگری بازی نکنید. بر خلاف شما، ما آشکارا بر این عقیده هستیم که نجات و پذیرایی از مردم افغانستان که در خطر هستند، مسئولیت ویژه ای دارد. بسیاری از مردم در افغانستان در خطر هستند زیرا برای صلح، حقوق بشر و دموکراسی تلاش کرده اند. این افراد در انجام این کار به نیروهای نظامی و سازمان های امدادی غربی تکیه کرده و با آنها همکاری کرده اند. از زمان خروج نیروهای غربی و به دست گرفتن قدرت توسط طالبان، این افراد بیش از گذشته در معرض خطر قرار دارند. "غرب" و در نتیجه آلمان نیز مسئولیت قابل توجهی در قبال وضعیت فاجعه بار در افغانستان دارند.

بنابراین ما به هیچ وجه مسئول ناامید کردن این افراد نیستیم. بنابراین ما امیدواریم که شما و دولت شما، و همچنین مقامات ایالت بادن-وورتمبرگ که به شما گزارش می دهند، دیگر با برنامه پذیرش فدرال مخالفت نکنید. ما امیدواریم افرادی که می توانند از افغانستان نجات پیدا کنند، در بادن-وورتمبرگ با استقبال خوبی مواجه شوند و بدتر از دیگران با آنها رفتار نشود. این همچنین به این معنی است که دولت و شهرداری ها به ساماندهی فضای زندگی لازم کمک می کنند. کسانی که از افغانستان نجات یافته اند و بستگانی که قبلاً در آلمان زندگی می کنند از شما بسیار سپاسگزار خواهند بود. ما می دانیم که دولت بادن-وورتمبرگ و مردم ساکن در اینجا تلاش های زیادی برای کمک به پناهندگان انجام می دهند. ما صمیمانه از شما می خواهیم که افرادی را که به دلیل جنگ در افغانستان در خطر هستند را از این کمک مستثنی نکنید.
با احترام

 

 

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