Landratsamt hängt Anti-Abschiebungs-Banner ab
50 Banner mit der Forderung "Keine Abschiebung nach Afghanistan. Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge" hängen derzeit an Wohnhäusern, Einrichtungen, Firmen usw. in Tübingen und Umkreis. Das von afghanischen Geflüchteten an der Außentreppe ihrer Unterkunft angebrachte Banner wurde nun vom Landratsamt abgehängt mit der Begründung, dass das Anbringen von "Werbebannern" nicht zulässig sei. Das Bündnis Bleiberecht protestierte und forderte in einem Brief an das Landratsamt und einer Pressemitteilung, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Teilhabe auch für Flüchtlinge und auch in Flüchtlingsunterkünften gelten müsse.
- 05.07.2018 Schwäbisches Tagblatt (Steinlach Bote): "Landratsamt hängte Banner an Flüchtlingsunterkunft ab" sowie Kommentar "Recht auf Asyl und Meinung" (PDF)
Bündnis Bleiberecht Tübingen: Offener Brief an das Landratsamt Tübingen / Pressemitteilung vom 3.7.2018
Landratsamt Tübingen
Abteilung Ordnung
z.Hd. Frau Harbauer, Herr Hildenbrand, Herr Meier
Nachrichtlich: Landrat Walter, sowie Schwäbisches Tagblatt i.S.e. Pressemitteilung
Betr.: Banner in der Flüchtlingsunterkunft "Richard-Burkhardt-Straße" in Mössingen
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihre Email vom 02. Juli 2018 haben wir erhalten.
Wie Sie dem Aufruf zu der Banneraktion auf unserer Website entnehmen können (https://bleiberecht.mtmedia.org/2018/06/07/banneraktion-zum-internationalen-tag-des-fluechtlings-am-20-juni/) hat das Bündnis Bleiberecht Tübingen anlässlich des Internationalen Tags des Flüchtlings die entsprechenden Banner allen Interessent*innen gegen einen Unkostenbeitrag oder Spende zur jeweils eigenverantwortlichen Verwendung zur Verfügung gestellt.
Die Banner sind daher nicht (mehr) das Eigentum des Bündnis Bleiberecht Tübingen und können daher auch nicht für das Bündnis Bleiberecht bei Ihnen abgeholt werden. Wir möchten vielmehr dringend anregen, dass Sie das von Ihnen in der Richard-Burkhardt-Straße in Mössingen entwendete Banner umgehend selbst an die Besitzer*innen zur Weiterverwendung zurückgeben bzw. Schadenersatz i.H.v. €20,- an diese leisten, falls das Banner bei der Abnahme durch Ihre Mitarbeiter beschädigt wurde.
Wir und die Öffentlichkeit möchten darüber hinaus gerne erfahren, auf welcher Rechtsgrundlage Sie das Banner an der Flüchtlingsunterkunft in Mössingen überhaupt eigenmächtig und ohne Rücksprache mit den Besitzer*innen des Banners entfernt haben.
Anders als von Ihnen angeführt beinhaltet das vom Bündnis Bleiberecht Tübingen zur Verfügung gestellte Banner nämlich keine Werbung für Produkte, Dienstleistungen oder sonstige kommerzielle Zwecke - ein solches "Werbebanner" wäre nach Punkt 6.10 der Wohnheimordnung des Landkreises in der Tat nicht zulässig.
Die auf dem Banner zu lesende Formulierung: "Keine Abschiebungen nach Afghanistan! Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge!" stellt vielmehr eine politische Forderung dar, die im Falle der GU Richard-Burkhardt-Straße sogar von den dort lebenden, potentiell von Abschiebungen betroffenen Menschen selbst getätigt wird.
Das Recht auf freie und öffentliche politische Meinungsäußerung wird sowohl für deutsche Staatsbürger*innen als auch für in Deutschland lebende Menschen ohne deutschen Pass durch das Grundgesetz und die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert.
Auch das Aufenthaltsgesetz sowie die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz erlauben Einschränkungen dieses Grundrechts bei sich in Deutschland aufhaltenden Ausländer*innen nur, wenn vom jeweils zu begründenden Einzelfall eine schwerwiegende staatsgefährdende oder terroristische Bedrohung ausgeht, oder anderweitig explizit zur Gewalt aufgerufen wird.
Dies ist bei besagtem Banner inhaltlich sicher nicht feststellbar - und uns ist bisher auch nicht bekannt, dass sich friedliebende Institutionen wie Caritas, Diakonie und andere Sozialträger, die sich ebenfalls aus Überzeugung an der Banneraktion beteiligen, derartiger Umtriebe verdächtig gemacht hätten.
Vor diesem Hintergrund möchten wir Sie darauf hinweisen, dass das von Ihnen in Punkt 6.12 der Wohnheimordnung des Landkreises verfügte pauschale Verbot jeglicher politischen Betätigung in den kreiseigenen Gemeinschaftsunterkünften unserer Ansicht nach nicht haltbar ist.
Wir fordern Sie daher auf, diesen Passus umgehend aus der Wohnheimordnung zu streichen.
Falls Ihre Behörde in diesem Punkt eine gegensätzliche Position vertritt fordern wir Sie auf, Ihre Position der Öffentlichkeit und den Betroffenen in den Unterkünften ausführlich und nachvollziehbar auf der Grundlage geltenden bundesdeutschen und europäischen Rechts zu erklären.
Es kann nach unserem Verständnis nicht sein, dass von geflüchteten Menschen einerseits die Integration in die pluralistische und demokratische deutsche Mehrheitsgesellschaft gefordert wird - was auch und gerade die Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung mit einschließt - und eine untere Aufnahmebehörde andererseits mit einem Federstrich derartige Partizipationsmöglichkeiten untergräbt und Geflüchteten in Gemeinschaftsunterkünften jegliches Recht auf öffentlich wahrnehmbare Meinungsäußerungen abspricht.
Mit freiheitlich-demokratischen Grüßen,
Bündnis Bleiberecht Tübingen
Banner an Flüchtlingsunterkunft in Mössingen