Afghanistan zwei Jahre nach der Machtübernahme

Die Nachricht des Tages: Die Taliban haben den 15. August zum Nationalfeiertag erklärt*. Dies zeigt, wie sicher sich die neuen Machthaber dieses Landes nach der endgültigen Übergabe der Macht durch den "Westen" am 15.August 2021 fühlen. Anlässlich eines solchen Jahrestags wird zwar hierzulande immer noch über die elenden humanitären und menschenrechtlichen Zustände in diesem Land berichtet oder nochmal hervorgekramt, dass Deutschland tausende "Ortskräfte" zurückgelassen hat. Der politmediale Aufmerksamkeitsfokus hat sich von Afghanistan aber ansonsten schon längst abgewandt.

Wir werden uns hier vor Ort aber weiterhin dafür einsetzen, dass möglichst viele Menschen dieses Land, das von einem islamistischen Terrorregime regiert wird und immer mehr in Menschenrechtsverletzungen ("Gender-Apartheid") und humanitärem Elend zu versinken droht, verlassen können. Ein paar Beispiel aus unserer Arbeit hier vor Ort in Tübingen:

Meldestelle im Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP): move on ist eine von bundesweit ca. 70 zivilgesellschaftlichen Meldestellen für das BAP. Seit Oktober 2022 gibt es in diesem Programm ca. 40.000 Anträge für Personen, die im Bereich Menschenrechte in Afghanistan tätig waren und vom Talibanregime mit dem Leben bedroht sind. Bis jetzt gibt es allerdings immer noch keine einzige Aufnahmezusage. Das Verfahren ist langwierig und sehr bürokratisch. Bei move on bearbeiten wir über 200 Anträge, viele davon für Frauen als Hauptantragstellerinnen. Sechs dieser Anträge sind inzwischen im Auswahlverfahren. Das hört sich wenig an, ist aber im Verhältnis zur Gesamtzahl der Anträge bzw. der bisherigen Auswahlvorschläge eine gute Quote. Es zeigt, dass unsere Anträge Substanz haben. Die Menschen, die eine Aufnahmezusage erhalten, unterstützen wir im Visumsverfahren und bei der Ausreise, auch finanziell. Nach Einreise in Deutschland unterstützen wir diese Menschen bei allen Schritten der Integration. Diese Arbeit wird von der Deutschen Postcode Lotterie und dem Zweckerfüllungsfonds Flüchtlingshilfe der Diözese Rottenburg-Stuttgart in 2023 und 2024 finanziell gefördert. Für die Personen/Familien, für die Aufnahmeanträge gestellt werden, sucht der Verein Menschen, die die Anträge ideell unterstützen. Für die Personen/Familien, die eine Aufnahme in Deutschland erhalten, sucht der Verein ehrenamtliche Pat*innen, die bei der Wohnraumsuche und anderen Integrationsschritten aktiv werden möchten. Kontakt: info@menschen-rechte-tue.org

Projekt "save our families": In unserem Projekt "save our families", zu dem auch die BAP-Aufnahmeanträge gehören, unterstützen wir afghanische Familien, die mit in Tübingen und der Region lebenden afghanischen Geflüchteten verwandt sind und die sich nach der Machtübernahme durch die Taliban in einer existenziellen Notlage befinden. Die Spenden werden primär für Lebenshaltungskosten und dabei für das dringendst Notwendige wie Essen, Kleidung, Medikamente, Wohnungs- und Heizkosten verwendet. Falls eine Familie das Land verlassen kann, unterstützt der Verein auch bei Reisekosten oder Kosten für Pässe und Visa. Seit Herbst 2021 haben wir für diese Zwecke Spendengelder in Höhe von insgesamt rund 60.000 Euro erhalten.

Unterstützung von afghanischen Geflüchteten im Asylverfahren: Über unser Projekt Plan.B beraten und unterstützen wir (weiterhin) zahlreiche afghanische Geflüchtete, die sich im Asylverfahren befinden. In den letzten Monaten sind zahlreiche neue afghanischen Geflüchteten in Deutschland und auch im Landkreis angekommen. Auch hier zeigen sich die Auswirkungen der Machtübernahme der Taliban. Diese Menschen haben häufig sehr harte Fluchtwege hinter sich. Viele mussten aufgrund der Gefahren der Fluchtwege ihre Frauen und Kinder in Transitländern wie der Türkei zurücklassen, wo sie zum Teil schutzlos oder besonders betroffen von den Auswirkungen des Erdbebens in unerträglichen Situationen leben müssen.
Viele dieser, meist männlichen, Geflüchteten, werden in der ersten Zeit in Deutschland von jeglicher Integration ausgeschlossen, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihre Asylanträge unter Verweis auf die Dublin-Verordnung ablehnt und diese Menschen in andere EU-Länder abschieben will. Afghanische Flüchtlinge brauchen (wie andere auch) aber Schutz und keine Herumgeschiebe. Wir unterstützen diese Menschen deswegen bei Asylklagen. Erst wenn das Dublin-Verfahren vorbei ist ("Dublin-Lotterie" durch 6-monatige Überstellungsfrist) und ein nationales Asylverfahren eröffnet wird, dürfen diese Geflüchteten arbeiten oder einen Integrationskurs besuchen. Randbemerkung: Die Arbeitspflicht, die der Landkreistagspräsident und Landrat Walter einführen will, würde also diesen und vielen anderen Geflüchteten über lange Zeit überhaupt nichts helfen. Aber der Landrat möchte ja auch nicht, dass möglichst viele Geflüchtete in Arbeit kommen, sondern dass möglichst wenige in Zukunft nach Deutschland kommen und dafür wird verbal auf den Putz gehauen.
In den vergangenen Jahren haben wir sehr viele afghanischen Geflüchteten im Asylverfahren begleitet und dabei unterstützt, dass ihre zunächst abgelehnten Asylanträge durch die Gerichte anerkannt wurden. Auf der Basis einer Aufenthaltserlaubnis lässt sich die Integration in ihren vielen Facetten deutlich besser angehen als durch die Ablehnungskultur, die den Geflüchteten vielfach von Ämtern und Behörden entgegengebracht wird. Wir unterstützen auch bei allen Schritten bei Anträgen für die Familienzusammenführung mit Ehefrauen und/oder Kindern, die die Geflüchteten häufig in Afghanistan zurücklassen mussten. Statt solche Anliegen zu unterstützen, beschwert sich etwa die baden-württembergische Justizministerin Gentges (CDU) vor allem, dass derzeit keine Abschiebungen nach Afghanistan durchgeführt werden (SWR 9.8.23). Afghanische Geflüchtete, die keinen afghanischen Nationalpass besitzen, unterstützen wir bei Anträgen für die Ausstellung auf einen "Reiseausweis für Ausländer". Diese Menschen haben nach mehreren Jahren Asylverfahren das Bedürfnis, ihre zum Teil in vielen Ländern verstreuten Verwandten besuchen zu können oder schlicht auch mal Urlaub machen zu können. Die afghanischen Konsulate stellen aber seit September 2021 keine Pässe mehr aus. Die meisten Ausländerbehörden stellen deswegen ersatzweise deutsche Reiseausweise ("grauer Pass") aus, nicht jedoch die Ausländerbehörde des Landratsamts Tübingen. Diese verlangt eine besondere Begründung für eine Reise, zum Beispiel schwer kranke Verwandte. Deswegen befinden wir uns aktuell mit dieser Behörde in einem Rechtsstreit.

Für unsere Arbeit freuen wir uns (weiterhin) über Spenden:
menschen.rechte Tübingen e.V.
Volksbank in der Region
IBAN: DE16 6039 1310 0308 1020 02
BIC: GENODES1VBH, Verwendungszweck: Afghanistan-Hilfe

* vgl. Südwestpresse, 16.8.23, Seite 1

Hinweise:
14.08.2023, PRO ASYL: »Unser Leben und unsere Zukunft wurden zerstört«
15.08.2023, taz: Zwei Jahre Machtübernahme in Afghanistan: Aus der Hölle für Frauen entkommen. Die Taliban in Afghanistan errichteten vor zwei Jahren ein Land ohne Frauenrechte. Viele Afghaninnen mussten fliehen. Ein Besuch im deutschen Exil.


Schon Weihnachtsgeschenke? Wir verkaufen Safran aus der Region Herat in Afghanistan auf Spendenbasis. Das Safran ist sehr hochwertig und wurde von Frauen in Herat selbst angebaut und gesammelt. Safran ist eine Krokus-Art. Die getrockneten Blüten gelten als das edelste und teuerste Gewürz der Welt und Herat als das beste Anbaugebiet. Für 1 kg braucht man bis zu 200.000 Blüten. Richtpreis 10 Euro / Gramm. Kontakt: info@menschen-rechte-tue.org

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