Chancenaufenthaltsrecht vom Bundestag beschlossen

Am 2. Dezember beschloss der Bundestag das Gesetz zur Einführung eines "Chancenaufenthaltsrechts" (§ 104c AufenthG) mit der Mehrheit der regierenden Ampelkoalition. Die AfD und die Mehrzahl der CDU/CSU-Fraktion stimmten dagegen, 20 Mitglieder der CDU/CSU Fraktion enthielten sich. Ebenso enthielt sich die Linke-Fraktion, die weitergehende Forderungen gestellt hatte.

Das Gesetz war bis zuletzt umstritten. Bei der Sachverständigenanhörung im Innenausschuss des Bundestags trugen Vertreter*innen der konservativen Parteien und der Kommunalen Spitzenverbände (Landkreistag, Städtetag) ihre fundamentale Ablehnung von Erleichterungen beim Bleiberecht für Geduldete vor, konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Die von Pro Asyl, Wohlfahrtsverbänden und der Linken eingebrachten Verbesserungsvorschläge zum Gesetzentwurf (etwa der Verzicht auf einen Stichtag und die gleichzeitig geplante "Abschiebungsoffensive") blieben jedoch ebenfalls ungehört. Im Unterschied zum im Juli eingebrachten Gesetzentwurf wurde lediglich der Einreisestichtag auf 31.10.2017 geändert und die mögliche Dauer des "Chancenaufenthaltsrechts" von 12 auf 18 Monate erhöht. Dies kann im Einzelfall erleichtern, die erforderlichen Nachweise für eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis bei Lebensunterhaltssicherung, Deutschkenntnissen und Passpflicht zu erbringen. Demgegenüber wurden nochmal diverse Verschärfungen in das Gesetz gemogelt wie zum Beispiel der FDP-Vorschlag, dass der Aufenthalt nach § 25a AufenthG für gut integrierte Jugendliche künftig erst nach einer Vorduldungszeit von 12 Monaten erteilt wird, in der auch diese noch abgeschoben werden können.

Sofern das Gesetz vom Bundesrat, der am 16.12. tagen wird, bestätigt wird, wird es am 1.1.2023 in Kraft treten. Damit wird dann auch das unsägliche Rumgeeiere der grünschwarzen baden-württembergischen Landesregierung um eine Vorgriffsregelung zu Ende sein. Der politische Beschluss der Landesregierung vom 11.Oktober, niemanden abzuschieben, der/die unter die geplanten Regelungen des § 104c (Chancenaufenthaltsrecht) fällt, war von Anfang an mit großer Vorsicht zu genießen. Denn dieser Beschluss ist nie schriftlich an die zuständigen Ausländerbehörden weitergegeben worden. Es gab seitens der Landesregierung dazu weder einen Erlass noch eine "Vorgriffsregelung" noch Handlungsanweisungen. Stattdessen wurde offenbar weiter „business as usual“ gemacht und sogar verstärkt noch Personen abgeschoben, die möglicherweise durch das neue Gesetz eine Bleibeperspektive bekommen hätten können. (siehe auch Presseartikel unten).

Mit dem Chancenaufenthaltsrecht werden mehr Menschen, die nur geduldet, aber gut integriert und in Arbeit sind, die Chance auf ein Bleiberecht erhalten. Es wird aber auch mehr Arbeit auf die unterstützenden Organisationen der Flüchtlingshilfe und Fachberatungsstellen wie Plan.B zukommen und diese Arbeit wird sicher nicht leichter werden. Denn auch das Chancenaufenthaltsrecht hat nichts an den hohen Anforderungen an die Erfüllung der Mitwirkungspflichten (Identitätsklärung, Passbeschaffung etc.), an die Sicherung des Lebensunterhalts und sonstiger Bedingungen geändert, die zum Erhalt einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis erbracht werden müssen. Das rechte politische Spektrum, das im Laufe der Diskussion um das Gesetz wieder wie gebetsmühlenartig Ängste vor dem Untergang des Abendlands von sich gab (wie auch bei der Diskussion um die Erleichterung der Einbürgerungsregeln) und von Pulleffekten und 2015 darf sich nicht wiederholen schwadronierte, braucht sich keine großen Sorgen machen. Das "Chancenaufenthaltsrecht" ist letztlich auch nur ein kleiner Goldfisch im Aquarium der Migrationspolitik und dort schwimmen noch viele Haie. Ein zentraler Schwachpunkt dieses Gesetzes ist schließlich der festgesetzte Stichtag. Alle, die nach dem 31.12.2017 ins Land gekommen sind, werden keine Chance auf das Chancenrecht erhalten und je mehr Zeit vergehen wird, desto unfairer und ungerechter wird dies werden. Die Praxis der Kettenduldungen wird das "Chancenaufenthaltsrecht" also nur kurzzeitig verringern.

 

Nachklapp:

Südwest Presse 23.11.2022

Gericht stoppt Abschiebung

Justiz. Perspektive für Gambier durch geplante Änderung im Bleiberecht. Strafrechtliche Vorfälle bereits verjährt.

Karlsruhe. Die geplante Abschiebung eines Mannes aus Gambia ist  vom  Verwaltungsgericht Karlsruhe gestoppt worden. Ihm eröffne das geplante sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht  eine Bleibeperspektive, teilte das Gericht am Dienstag mit. Er halte sich seit über fünf Jahren mit einer Duldung in Deutschland auf  und seine strafrechtlichen Verurteilungen stünden dem Anspruch durch das neue geplanten Aufenthaltsrecht nicht entgegen, weil sie inzwischen  getilgt  seien.  Der Gambier war in Abschiebehaft. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hatte argumentiert, dass es keine schriftliche Anweisung für die Zurückstellung von Abschiebungen entsprechender Geduldeter gebe. Jedoch eine mündliche Anweisung.  Der  Mann  gehörte nach Ansicht der Behörde aber nicht zum Kreis der Betroffenen. Der  Beschluss  des  Verwaltungsgerichts  ist  noch  nicht rechtskräftig. Gegen ihn kann vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg  Beschwerde eingelegt werden. Von der neuen Regelung zum sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht der Bundesregierung sollen integrierte Ausländer profitieren. Wer am 1. Januar fünf Jahre im Land lebt und nicht straffällig geworden ist, bekommt demnach ein Jahr Zeit, um die  Voraussetzungen  für  einen langfristigen Aufenthalt zu erfüllen – dazu gehören etwa Deutschkenntnisse und die Sicherung des Lebensunterhalts.

 

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