Landkreis Tübingen ist "sicherer Hafen" - aber ohne Anlegestelle

160 Städte, Gemeinden und Landkreise haben sich in Deutschland bereits zum "sicheren Hafen" erklärt (Stand Juni 2020, siehe Seebrücke). Nach den Kreisstädten Rottenburg und Tübingen ist jetzt seit 27.Mai 2020 auch der Landkreis Tübingen ein "sicherer Hafen". Diese Entscheidung war umstritten. Zwar verabschiedete der Kreistag nahezu einstimmig einen von den Fraktionen der Linken, SPD, Grünen und FDP eingebrachten Kompromiss-Antrag, in dem sich der Kreis zum "sicheren Hafen" erklärt - allerdings mit der von der Verwaltung und den konservativen Parteien gewollten Einschränkung, dass der Landkreis selbst nicht zur Flüchtlingsaufnahme bereit ist, sondern dabei lediglich andere unterstützen will. Grundsätzlich befürwortet der Kreistag jedoch darüber hinaus die Aufnahme von Flüchtlingen, die sich an den EU-Außengrenzen in Not befinden wie auf dem Mittelmeer oder aktuell in Griechenland. Mit knapper Mehrheit von 29 zu 26 Stimmen entschied der Kreistag zusätzlich, dass der Landkreis dem Bündnis "Städte Sichere Häfen" beitritt. Gegen diesen Zusatzantrag stimmten CDU, FWV, FDP und AfD.

Im November 2019 brachte die Fraktion Tübinger Linke den Antrag ein, dass sich der Landkreis Tübingen zum "sicheren Hafen" erklären solle. Ein Bündnis von 20 zivilgesellschaftlichen Organisationen, initiiert vom Bündnis Bleiberecht und der Initiative Seebrücke Tübingen, unterstützte diese Forderung mit Appellen und Kundgebungen. Das Landratsamt empfahl jedoch in einer Stellungnahme die Ablehnung des Antrags. Bei der Kreistagssitzung am 9.12.2019 wurde die Entscheidung vertagt. Bei der Verwaltungssausschuss-Sitzung am 12.3.2020 stellte die Grünen-Fraktion einen Zusatz-Antrag für Nothilfemaßnahmen. In der Folge wurde ein interfraktioneller Kompromiss-Antrag vorbereitet. Da die März-Kreistagssitzung wegen Corona ausfiel, stand dieser Antrag erst bei der Kreistagssitzung am 27.5.2020 zur Abstimmung - und wurde angenommen.

Unklar bleibt vorerst, welche praktischen Auswirkungen die Entscheidung haben wird. Die Kreisverwaltung scheint insgesamt wenig begeistert zu sein, Dies zeigt sich nicht nur in den Äußerungen des Landrats, sondern auch daran, dass zum Beispiel auf der Homepage des Landratsamtes nichts davon zu lesen ist. Auch in den Veröffentlichungen der Flüchtlingsbeauftragten oder den Tü-News, dem Vorzeige-Medienprojekt des Landratsamts für Geflüchtete, wurde nichts berichtet. Zu hoffen ist, dass der Sichere-Hafen-Beschluss mehr als nur schnell verpuffende politische Symbolik ist. Damit dies nicht geschieht, wird es darauf ankommen, in welcher Weise weiterhin zivilgesellschaftlicher Druck "von unten" gemacht wird.

Infos und Medienberichte:

Siehe auch: 06.12.2019  Lokales Bündnis fordert: Auch der Landkreis Tübingen soll sich zum "Sicheren Hafen" erklären

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