Flüchtlingsunterkunft in Mössingen wird trotz Protesten gebaut
Am 11. Oktober entschied der Gemeinderat der Stadt Mössingen, dass eine neue Unterkunft für Geflüchtete und Obdachlose im Stadtteil Belsen gebaut. Damit setzte sich der Gemeinderat auch über Proteste von Bürger:innen durch, die den Bau verhindern wollten. Nach einer Informationsveranstaltung im August starteten rechtslastige Bürger:innen eine Petition gegen die Unterkunft, bei der sie über 1000 Unterschriften sammelten. Die Stadtverwaltung ließ sich jedoch so weit bringen, dass die Unterkunft kleiner als geplant gebaut wird mit nur noch Platz für 27 Personen. Andreas Linder von move on schrieb nach der Entscheidung des Gemeinderats einen Brief an den Oberbürgermeister Bulander, in dem er kritisierte, dass der Freundeskreis Asyl und move on nicht in den Prozess miteinbezogen wurden und es sich nicht um "Bürgerbeteiligung wie im Bilderbuch" (Zitat Bulander im Schwäbischen Tagblatt) gehandelt habe. Im Folgenden dieser Brief im Wortlaut:
Schwäbisches Tagblatt 11.10.2023: Gemeinderatsbeschluss: Unterkunft in Belsen wird gebaut
12.10.2023 per E-Mail
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister (und Kreistagskollege) Bulander,
zunächst möchte ich meine Anerkennung ausdrücken, dass es Ihnen und dem Gemeinderat gelungen ist, eine Entscheidung über den geplanten Bau einer Flüchtlingsunterkunft in Belsen zu treffen. Das war sicher schwierig. Sie werden dazu im Schwäbischen Tagblatt von gestern mit dem Satz zitiert, dass es sich dabei um "eine Bürgerbeteiligung wie aus dem Bilderbuch" gehandelt habe. Dieser Einschätzung kann ich allerdings nicht zustimmen.
Ich bin der Auffassung, dass die Verwaltungen einen guten Teil von möglichem Bürgerprotest (bis hin zu rechten Mobilisierungen) vermeiden könnten, wenn sie von Anfang an Personen und Organisationen, die in der Begleitung von Geflüchteten tätig sind, in so einen Prozess miteinbeziehen würden. Ein wesentlicher Fehler aus meiner Sicht ist, dass in der Planungsphase für solche Unterkünfte zwar Informationsveranstaltungen durchgeführt werden, zu diesen aber überwiegend nur die unmittelbaren Anwohner:innen einer Unterkunft eingeladen werden. Und so war es glaube ich auch, soweit ich das einschätzen kann, im Fall dieser Unterkunft in Belsen. Dies trifft jedenfalls für uns zu, die wir jetzt seit über 7 Jahren Geflüchtete in der Richard-Burkhardt-Straße beraten (und vielen bei der Integration und Problemen aller Art geholfen haben). Wir haben von den ganzen Planungen nur aus der Zeitung erfahren als die Infoveranstaltungen schon stattgefunden haben und sich der "Bürgerprotest" schon formiert hatte. Aus meiner Sicht macht es Sinn, bei der Planung von solchen Unterkünften von Anfang an Asylhelferkreise, Kirchengemeinden u.a. miteinzubeziehen und auch zu solchen Informationsveranstaltungen einzuladen. Ich weiß nicht genau, wie es in diesem Fall war, denn wir waren ja nicht einbezogen. Jedenfalls weiß ich aus vielen anderen Beispielen, dass das Ausmaß an Widerspruch und Ängsten, die bei manchen Bürger:innen existiert, in vielen Fällen ein Stück weit eingefangen werden konnte, wenn Menschen bei diesen Veranstaltungen mit dabei waren, die im Kontakt mit Geflüchteten stehen und sich um sie kümmern und die auch sagen konnten, dass sie sich um die dort einziehenden Menschen ebenfalls kümmern werden.
Aus einem Gespräch mit dem Freundeskreis Asyl Mössingen weiß ich, dass der Freundeskreis zusammen mit der Kirchengemeinde eine Infoveranstaltung plant, bei der es auch darum gehen soll, wer sich wie (auf ehrenamtlicher Basis) mit den in dieser Unterkunft einziehenden Menschen in Kontakt begeben möchte und welche Aktivitäten gestartet werden können, in die ggf. auch die Anwohner:innen einbezogen werden können und sich im besten Fall auch der Widerstand in der Bevölkerung beruhigt. Doch dieser ist jetzt schon hochgekocht, so einfach wird man das nicht los werden. Es ist auch gerade angesichts der aktuell wieder aufgeheizten Debatte über die Flüchtlingspolitik kaum verwunderlich, wenn Bürger:innen auf ihre Weise gegen Geflüchtete agieren, von "oben" wird ihnen eine ganze Menge vorgesagt.
Eine Anmerkung zur Sache habe ich noch: In der Richard-Burkhardt-Straße sind ca. 7 Afghanen (...), die seit 2015 in Deutschland sind, vorübergehend in der Eschenstraße gewohnt haben und dann wieder in die RBS verlegt wurden. Für diese Menschen, die z.T. vielleicht nicht ganz einfach sind, ist es bisher nicht gelungen, in Mössingen privaten Wohnraum zu finden. Auch ich habe diverse Versuche in diese Richtung aufgegeben. Als der Ukraine-Krieg ausbrach, gab es aber plötzlich eine ganze Menge Privatwohnraum in Mössingen für ukrainische Geflüchtete. Die neue Unterkunft in Belsen könnte für diese Afghanen eine Möglichkeit sein, dass sie endlich aus der RBS raus können. In der RBS hat man zwar auch ein Dach über dem Kopf, aber diese Unterkunft hat sicher nicht die Qualität, Menschen längerfristig unterzubringen. Ich hoffe, dass die Entscheidung, die neue Unterkunft in Belsen kleiner zu bauen, nicht dazu führen wird, dass diese Afghanen erneut auf der Strecke bleiben.
Ich erlaube mir, diese E-Mail an die Gemeinderatsfraktionen und den Freundeskreis Asyl zur Kenntnis zu geben.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Linder