Erst integrieren, dann abschieben? Streit im Ländle um das Bleiberecht
Mit dem Migrationspaket vom Sommer 2019 wurde auch die sog. "Beschäftigungsduldung" (§ 60 d AufenthG) eingeführt. Dieses seit 1.1.2020 geltende Gesetz soll bewirken, dass abgelehnte Asylsuchende, die gut integriert sind und feste Arbeitsplätze haben, bleiben dürfen. Doch seit die Landesregierung im März 2019 eine Vorgriffsregelung eingeführt hat, erhielten in Baden-Württemberg gerade mal 35 Personen eine Beschäftigungsduldung, wie einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion zu entnehmen ist.
Schon diese Zahl zeigt, dass das Gesetz sehr hohe Hürden enthält. Vor allem fehlt die von den Unternehmen, die Geflüchtete beschäftigen, geforderte und benötigte Rechtssicherheit vollkommen. Im Landtag kam es deswegen im Dezember und Januar zum Streit der Koalitionäre Grüne und CDU. Das CDU-geführte Innenministerium setzt weiter auf Abschiebungen und eine harte Linie. Die Grünen wollen etwas humaner agieren. Als Kompromiss steht aktuell das Vorhaben einer Bundesratsinitiative im Raum, über die Verbesserungen an dem Gesetz erreicht werden sollen. Die dabei zwischen Grünen und CDU auftretenden eklatanten Missverständnisse und Interessensgegensätze werden von der SPD ausgeschlachtet, die bei ihrem verbalen Einsatz für ein großzügigeres Bleiberecht für gut integrierte Geflüchtete jedoch komplett ausblendet, dass ihre Bundespartei eben dieses restriktive Gesetz im Paket mit noch viel mehr restriktiven Gesetzen in der großen Koalition durchgewunken hat. Und die Grünen? Einem Antrag der SPD-Fraktion zur "Ausübung des Ermessens hinsichtlich einer Duldung für gut integrierte Asylsuchende" bei der Landtagssitzung am 29. Januar haben die Grünen aufgrund Koalitionsdisziplin nicht zugestimmt und mussten sich deswegen den Vorwurf gefallen lassen, mit der AfD gestimmt zu haben. Den Vorstoß der SPD bezeichneten die Grünen jedoch nicht zu Unrecht als "aberwitzig".
Aktuell wurde nun am 2. März im Koalitionsausschuss angeblich ein Kompromiss erzielt. Ob dieser wirklich zu der angekündigten Bundesratsinitiative und in der Folge tatsächlich zu positiven Verbesserungen führen wird, ist jedoch weiter offen. Möglicherweise wird es angesichts des derzeit vorherrschenden Abschiebungsmantras nur dann Verbesserungen geben, wenn genügend Druck "von unten" kommt. Mit dem am 6. März gestarteten Tübinger Aufruf "Bleiberecht statt Abschiebung" soll gezeigt werden, dass viele Menschen an der "Basis" solche Verbesserungen fordern.
- 19.12.2019 Die Grünen im Landtag: Wir stärken Bleiberechte für Geduldete und Geflüchtete in Arbeit
- 10.01.2020 Südkurier: Grünen-Fraktionschef verkündet Abschiebestopp: Berufstätige Asylbewerber dürfen vorerst bleiben (umgehend von CDU dementiert)
- 22.01.2020 Kontext Wochenzeitung: Erst integrieren, dann abschieben
- 29.01.2019 Schwäbische Zeitung: Abschiebung von arbeitenden Asylbewerbern - Strobl verteidigt „Herz und Härte“
- 29.01.2019 Redemanuskript Andreas Stoch Antrag der Fraktion der SPD – Ausübung des Ermessens hinsichtlich einer Duldung für gut integrierte Asylsuchende
- 03.02.2020 Landtagsdrucksache Drucksache 16 / 7435: Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration Ausübung des Ermessens hinsichtlich einer Duldung für gut integrierte Asylsuchende
- 05.02.2020 Kontext Wochenzeitung: Spielräume beim Bleiberecht
- 07.02.2020 Schwäbische Zeitung: Vaude-Chefin: Kritik an Abschiebe-Politik
- 04.03.2020 SWR: Kompromiss beim Bleiberecht. Das sagen Opposition und Unternehmer
- 04.03.2020 Gemeinsame PM der Landtagsfraktionen von CDU und Grüne: Einigung zu Polizeigesetz und Bleiberecht steht
- 06.03.2020 Flüchtlingsrat Baden-Württemberg: Weiterhin keine Sicherheit für Betroffene und Arbeitgeber*innen. Flüchtlingsrat enttäuscht von „Einigung“ der Landesregierung zum Thema „Bleiberecht“
- Link zur Petition der Unternehmerinitiative Bleiberecht durch Arbeit vom Juli 2018: Bleiberecht für Geflüchtete mit einem festen Arbeits- oder Ausbildungsplatz
- Link zur Homepage der Unternehmerinitiative Bleiberecht durch Arbeit